Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
keinen weiteren Pressereaktionen. Nicht einmal der Tatenbecker Bote griff die Sache auf. Außerdem machte sich niemand die Mühe, Claudia und Sophie inquisitorischen Befragungen zu unterziehen. Die beiden kamen nicht mal dazu, den nächsten Erscheinungstermin unters Volk zu bringen.
Nach zwei Tagen wurden die Organisatoren des Ganzen langsam nervös.
»Wenn das so weitergeht, erscheint MM Sonntag wieder unter Ausschluss der Öffentlichkeit«, sorgte sich Gina. »Gibt es denn eigentlich keine Katholiken in diesem komischen Ort?«
»Jedenfalls kommen sie nicht zur evangelischen Schnitzeljagd.« Barhaupt seufzte. »Irgendwie war der Zeitpunkt falsch gewählt. Außerdem sitzen die meisten Katholiken in Tatenbeck.«
»Glaube ich inzwischen auch. Aber Tatenbeck ist doch gleich um die Ecke. Denen müssten wir es doch stecken können.« Berit überlegte.
»Ich könnte zum Pfarrer gehen«, meinte Barhaupt und kämmte gedankenverloren seinen Bart mit den Fingerspitzen.
Gina schüttelte den Kopf. »Damit der es unter den Teppich kehrt? Der Mann ist doch garantiert nicht interessiert an einer Marienerscheinung in Grauenfels. Vorerst brauchen wir keinen Pfarrer, sondern ein paar naive Gläubige.«
»Aber der Weg führt über Herberger. Schließlich können wir seine Schäfchen nicht einzeln ansprechen. Er darf nur keine Chance haben, die Sache geheim zu halten«, wandteBarhaupt ein. »Ich müsste … ich werde …« Während der Ortsvorsteher seine Idee entwickelte, ging ein Leuchten über sein Gesicht. Barhaupt sah endlich die Rache für die Fabrik und die Bürgerinitiative. Pfarrer Herberger hatte keine Chance.
Aus der Kirche drang ein lautes, allerdings nicht ganz korrekt gesungenes »Großer Gott wir loben dich«. In Pfarrer Herbergers Kirchenchor durfte offensichtlich jeder mitsingen, der sich berufen fühlte, und so klang es denn auch. Herbergers Neigung zu konservativem Liedgut kam erschwerend hinzu. Als Barhaupt die massiven Kirchentüren aufstieß, hatten die Sänger eben zu »Aus meines Herzens Grunde« gewechselt. Dabei trafen sie nur alle paar Takte einen richtigen Ton. Berit und Gina, die sich Barhaupts Auftritt nicht entgehen lassen wollten, schlüpften hinter dem Ortsvorsteher in die Kirche und drückten sich gut versteckt in die hinterste Kapellennische. Dem Gesang entkamen sie dadurch nicht. Die Tatenbecker Kirche verfügte über eine exzellente Akustik. Umso besser, dachte Berit.
Immerhin hatte Pfarrer Herberger ihr Eintreten garantiert nicht bemerkt. Dafür war er zu intensiv mit dem Dirigieren beschäftigt. Der kleine, schon etwas grauhaarige Mann handhabte den Taktstock furios wie Karajan. Sein Chor sang vielleicht nicht gut, aber schnell und laut.
Herberger war kaum zu bremsen. Sein faltiges Gesicht, das entfernt an einen Labrador erinnerte, verfärbte sich vor Anstrengung rot, und seine Hängebacken wabbelten im Takt seiner ausladenden Bewegungen. Um ihn überhaupt aus der Konzentration zu reißen, musste ihn Barhaupt leicht anstoßen. Endlich verstummten die Sänger.
Berit und Gina vernahmen ein ärgerliches »Muss das jetzt sein?«
Gina unterdrückte ein erneutes Kichern, als Barhaupt daraufhinein regelrechtes Bühnenflüstern entwickelte. Seine Angaben zum »Problem in Grauenfels, das wohl eher in Ihr Ressort gehört« waren in der Kapelle gut zu verstehen.
»Und? Was geht das mich an, wenn ein paar von Jaegers Schäfchen in den Himmel starren und hinterher ohnmächtig werden?«, fragte Herberger daraufhin laut und unwillig. Der Pfarrer machte keine Anstalten, seine Stimme zu senken. Er tappte sozusagen lauthals in die Falle.
»Na ja …« Auch Barhaupt steigerte jetzt die Lautstärke, und seine Stimme dröhnte schließlich derartig laut, dass auch die letzte katholische Hausfrau im Kirchenchor jedes Wort mitkriegte. »Jaeger fühlt sich da nicht so zuständig. Es sieht aus wie – wie eine Marienerscheinung!«
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Wunder light
D as nervt. Kann der Mann nicht pünktlich sein?« Nervös zeichnete Sophie ein Herz in ihr Murphy-Family-Fanbook. Es geriet etwas schief, aber da es ohnehin nur eine winzige Lücke in einer Borte von Herzen und Blümchen ausfüllte, die das Bild eines langhaarigen blonden Jungen umrahmte, fiel das kaum auf.
Claudia vertrieb sich die Zeit, indem sie Schwalben aus alten Ausgaben des Pfarrblatts faltete, die auf Pfarrer Jaegers Schreibtisch in Mengen herumlagen. Die fertigen Flugapparate probierte sie dann gleich aus, was Berit und Gina wahnsinnig machte. Die
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