Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
den Mädchen die Erscheinung ab?«
Schwester Maria Felicitas schüttelte so lebhaft den Kopf, dass sich ein paar rote Haarsträhnen unter ihrer Haube vorwagten. »Nein. Absolut nicht. Ich weiß nicht, warum die das durchziehen, aber da ist was faul, glauben Sie mir. Die Mädchen machen uns was vor.«
»Darüber haben wir uns eben schon gestritten«, meinte Schwester Constanze. »Ich bin nicht ganz der Meinung meiner Mitschwester. Ich halte die Trance der Kinder für echt. Haben Sie die Blonde gesehen, diese Claudia? Bei der spiegelte sich die Erscheinung doch geradezu in den Augen. Auch die Gesprächsbeiträge wirkten lebendig … das war … perfekt.«
»Das war zu perfekt!«, urteilte Felicitas. »Zu glatt. Das war so, wie Hollywood sich eine Erscheinung vorstellt, alles sauber, klinisch rein – aber Mensch, wenn einem von uns so was passieren würde: Würden wir nicht stottern, uns beim Reden wiederholen – würden wir nicht ganz andere Fragen stellen?
Meine Güte, wenn ich mir vorstelle, dass mir die Jungfrau erschiene – da gibt es doch weltbewegende Probleme, zu der ich gern ihre Ansicht wüsste. Verhütung zum Beispiel, das Zölibat, Frauen als Priesterinnen … Also mir fällt da auf Anhieb eine ganze Liste ein, und die Mädchen haben doch jeweils zwei Wochen, sich vorzubereiten. Aber nein, die beten den ganzen Sermon noch mal herunter, den wir bei Bernadette und Sophia und Jacinta schon hatten.«
»Felicitas! Du würdest die Jungfrau nicht wirklich nach der Pille fragen!« Schwester Constanze kippte ihren Cognac und liebäugelte mit einem zweiten.
»Warum denn nicht, wenn sie schon mal da ist?«, fragte ihre junge Mitschwester. »Aber hier tragen zwei Gymnasiastinnen im Jahre 1998 den Text von ein paar Hirtenkindern aus dem neunzehnten Jahrhundert vor. Da stimmt was nicht, da bin ich sicher.«
»Na ja, ich hab ja bisher noch nicht viel drüber gelesen«, meinte Ruben – genau genommen beschränkten sich seine bisherigen Recherchen auf ein bisschen Schmökern im Traktat seiner fettleibigen Busnachbarin. »Aber die Vorgänger waren ja auch nicht sonderlich originell, was Fragestellungen anging.«
Felicitas zuckte die Schultern. »Schauen Sie, ich habe Bernadette Soubirous nicht gesehen – ebenso wenig wie die Kinder von Fátima. Insofern kann ich dazu nichts sagen. Aber ich habe diese Claudia gesehen. Und die landet wahrscheinlich mal beim Film, aber bestimmt nicht im Heiligenkalender!«
Während die drei noch diskutierten, betrat überraschend Annika den Hof, begleitet von dem jungen Feuerwehrmann Peter Lohmeier.
»Kriegen wir einen Kaffee, Lorchen?«, rief er der Kellnerin zu. »Und falls noch was von Mutters Käsetorte übrig ist …«
Annika hatte Ruben inzwischen gesehen, winkte ihm und lotste ihren Begleiter an seinen Tisch.
Die Kellnerin brachte kurz darauf eine Kanne Kaffee und eine Platte Kuchen hinaus. »Hier, aber bevor du nachher verschwindest, sollst du noch schnell in die Küche kommen. Die neue Espressomaschine spielt mal wieder verrückt«, wies sie Peter an.
Peter reichte den Kuchen herum. »Meiner Mutter gehört das Café«, erklärte er den kostenlosen Segen. »Ein alter Traum von ihr, und jetzt, wo endlich mal Leute in die Stadt kommen, hat sie in Rekordzeit was auf die Beine gestellt. Die Espressomaschine erweist sich allerdings als Albtraum.«
Dafür war die Torte umso besser. Annika lud gleich zwei Stücke auf ihren Teller.
»Na, haben Sie Ihre Freundin erfolgreich abgeliefert?«, fragte Ruben.
Annika schluckte rasch einen Mund voll Torte hinunter und nickte eifrig. »Der Doktor Vanderup ist riesig nett – und irre gut aussehend, noch besser als der Doktor Hoffmann. Er hat Elfis Stirn genäht – mit ganz winzigen Stichen, er sagt, man wird die Narbe gar nicht sehen –, und morgen macht er ihre Nase. Er meint, bei der alten wäre nicht viel zu retten, und Elfi erklärte, da wär’s auch nicht schade drum. Und dann hat er gelacht und gesagt, sie könnte sich dann ja eine neue aussuchen. Der hat da echt einen Katalog für – man fasst es nicht! Jedenfalls ist Elfi natürlich ganz aufgeregt, es gibt ja auch eine Masse zu klären, also wer die Kinder versorgt und so was, und ich muss auch noch mal herkommen und ihr ein paar Sachen bringen, weil zehn Tage, zwei Wochen muss sie bestimmt hier bleiben, meint der Doktor. Weiß ich gar nicht, wie ich das mache …«
»Also, wenn es bis Dienstag warten kann, könnte ich dich mitnehmen«, mischte sich Peter überraschend
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