Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
und dann sind wir fast bei meinemAuto«, tröstete Peter. »Kommen Sie, stützen Sie sich einfach auf mich.«
»Kann ich mitkommen?«, fragte Annika.
»Natürlich«, meinte Doktor Hoffmann. »Machen Sie sich nur keine Sorgen, es wird alles gut. Das sieht jetzt viel schlimmer aus, als es ist.«
Tatsächlich endete der Weg nach wenigen weiteren Metern im Steinbruch. Ruben schaute neugierig um sich. Bis vor kurzem war hier sicher noch Kies abgebaut worden. Noch ein Betrieb, der in Grauenfels zugemacht hatte. Von der LPG hatte er vorher schon gehört. Die Arbeitslosigkeit musste Rekordhöhen erreichen. Diese Marienerscheinung war tatsächlich das Beste, das dem Ort passieren konnte.
Ruben beschloss, Grauenfels noch ein bisschen zu erkunden und dann einen Kaffee trinken zu gehen. Er hatte die Hoffnung, Berit in besagtem Café im Ort wieder zu treffen. Irgendwann musste sie schließlich eine Pause machen. So wanderte er denn noch eine halbe Stunde durch die trostlosen Seitenstraßen, fernab der durch den Pilgerstrom belebten Hauptverbindungen zwischen Parkplätzen und Steinbruch. Der Anblick der heruntergekommenen Häuser und verlassenen Ladenlokale war deprimierend. Wenn sich überhaupt noch Einzelhändler hielten, so meist kleine Geschäfte, Bäckereien, ein Secondhandshop sowie Getränkeläden und Kioske. Größtenteils hatten die sogar heute geöffnet. Die frustrierte Einwohnerschaft mochte Nachschub an Spirituosen brauchen.
Ruben war fast erleichtert, als er den Weg zum Adler wiederfand. Auf der Suche nach dem Innenhof-Café passierte er erneut den Stand der Mädcheninitiative, an dem sich jetzt ein bisschen mehr tat als vorhin.
»Mit einem Kauf unterstützen Sie unseren Mädchenclub Regenbogen«, sagte das Mädchen hinter dem Verkaufstisch.
Ruben musste zweimal hinsehen, bis er in ihr die niedliche Punkerin von eben wiedererkannte. Die Kleine hatte das Gel weitgehend aus ihren Haaren entfernt und trug sie nun geflochten zu lustigen Pippi-Langstrumpf-Zöpfchen. Das Nasenpiercing hatte sie herausgenommen, und das Tattoo am Oberarm verdeckte ein T-Shirt. »Wir haben eine Schreibgruppe und einen Gesprächskreis, und wir möchten uns einen Computer anschaffen.«
Ruben grinste in sich hinein. Die Werbeberatung der Blonden von vorhin trug offensichtlich erste Früchte.
Berit befand sich nicht im Café, wohl aber die beiden Nonnen aus dem Hamburger Bus. Vergnügt schaufelten sie Kuchen in sich hinein, der erheblich leckerer aussah als das Schnitzel im Adler.
»Kommen Sie, setzen Sie sich zu uns!«, lud Schwester Felicitas ihn ein. »Die Käsetorte ist ein Gedicht. Ich war auch schon fast verhungert, das Mittagessen war ja ungenießbar.«
»Ich dachte immer, Kasteiung gehöre bei Ihnen zum Alltag.« Ruben grinste freundlich. »Kriegt Audrey Hepburn in Geschichte einer Nonne nicht eine Geißel ausgehändigt?«
»Die müssen wir uns heute selbst kaufen«, bemerkte Felicitas mit todernstem Gesicht. »Sparmaßnahmen, wissen Sie?« Dann prustete sie los.
»Im Übrigen sollten Sie beim Thema ›Kasteien‹ nicht Fasten mit Fast Food verwechseln«, fügte die ältere Nonne hinzu. »Mal abgesehen davon, dass wir Franziskanerinnen sind, und ich kann mir gut vorstellen, was unser Ordensgründer zur modernen Schweinemast gesagt hätte. Wo haben Sie denn unsere jungen Freundinnen mit dem Nasen- und dem Beziehungsproblem? Wir haben schon gedacht, Sie wirkten vielleicht gerade ein Wunder bei dem kleinen Dickerchen.«
»Solche unkeusche Gedanken hätte Audrey Hepburn sich nie erlaubt«, tadelte Ruben. »Im Übrigen: Die zwei sind unterwegs in Sachen Wunder …«
Während eine Kellnerin dampfenden Kaffee vor ihn hinstellte, erzählte er seinen verblüfft lauschenden Zuhörerinnen von Elfis Unfall. »Operiert werden muss auf jeden Fall«, endete er schließlich. »Und wenn dieser Chirurg auch nur einen Hauch ästhetisches Empfinden hat, dann näht er den Zinken nicht einfach zusammen, sondern schnippelt noch ein bisschen daran herum.«
»Dann war das ja mal eine erfolgreiche Wallfahrt! Man möchte es nicht glauben. Auf jeden Fall brauche ich darauf einen Cognac.« Die ältere Nonne schüttelte lachend den Kopf und winkte der Kellnerin. »Sie auch? Ich glaube, wir haben uns noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Schwester Maria Constanze.«
»Ruben Lennart. Und der Cognac ist eine gute Idee. Für mich dazu noch einen Kaffee, bitte. – Aber da wir gerade beim Glauben sind: Wie sieht es denn nun aus, Pfarrerin Braun? Nehmen Sie
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