Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
dass niemand sie halbiert«, meinte Gina fröhlich. »Was ist mit Ihnen, Frau Clarsen?«
Frau Clarsen, die mit einer Kaffeekanne durch den Flur lief, errötete erfreut. »Das ist sehr nett von Ihnen. Wenn ich darf, nehme ich drei, für Mittwochnachmittag, da kann mein Mann sich auch freinehmen. Wir haben schon so lange nichts mehr als Familie unternommen, mein Mann, mein Sohn und ich. Da wäre so ein Zirkusbesuch …« Frau Clarsens blaues Auge war inzwischen abgeschwollen. Vergnügt ging sie in ihr Büro.
»Manchmal habe ich wirklich das Gefühl, als ob der Himmel mit uns wäre«, meinte Berit nachdenklich, als sie und Gina schließlich wieder an ihren Schreibtischen saßen. »Kaumdenken wir über einen Zauberer nach, da fällt ein Zirkus im Dorf ein. Kommt dir das nicht auch komisch vor?«
»Glück hat auf die Dauer nur der Tüchtige«, sagte Gina grinsend, um dann vielsagend auf die Glücksdrachenecke zu blicken. »Oder hängt’s vielleicht doch mit gewissen unsichtbaren Reptilien zusammen? Wir sollten ihm schon gelegentlich etwas Hundefutter kaufen!«
*
Der Zirkus war ziemlich klein, und die Ansammlung bunter Wohnwagen und das altmodische Zelt mit Türmchen und Volants verbreiteten tatsächlich eine nostalgisch-magische Atmosphäre. Zwischen Kasse und Zelt gab es Stände mit Zuckerwatte und Paradiesäpfeln, Clowns liefen herum und neckten die Kinder, ein Jongleur und ein Zauberer zeigten ihr Können.
»Vom Hocker reißt mich das bis jetzt aber nicht«, meinte Berit, als der Zauberer dem faszinierten Bernie ein Ei aus dem Ohr zog und es dann in der Hand verschwinden ließ. »Das sind doch simpelste Taschenspielertricks.«
»Er hat ja auch noch nicht richtig angefangen«, beruhigte Gina sie. »Aber ich finde, er macht einen sympathischen Eindruck. Darauf kommt’s ja auch an, wir müssen ihm vertrauen können, wenn wir ihn in die MM-Geschichte einweihen.«
Die Vorstellung des Circo Magico glich insgesamt eher gutem, altmodischem Varieté als dem Menschen-Tiere-Sensationen-Konzept moderner zirzensischer Unternehmen. Die Leistungen der Artisten waren durchweg solide, die Kostüme ausgefallen, und die Lightshow war hinreißend. Die Vorstellung machte Spaß und bot ungewöhnliche Attraktionen – so etwa eine Dressurnummer mit drolligen Zwergziegen statt edler Hengste und einer Seiltänzerin, die zusammen mit einem Faultier auftrat. Das Tier machte dabei eigentlich nichts,außer am Seil zu hängen und ein paar Blätter zu verzehren, und eben das schien die Tänzerin wahnsinnig zu machen. Ihre Versuche, ihren behaarten Partner zu irgendwelchen Aktivitäten anzuregen, riss die Zuschauer zu Lachstürmen hin. Ins atemlose Staunen verfielen bei der Show des Circo Magico aber nur die Kinder. Den Erwachsenen hatte sie wenig Neues zu bieten – bis zum Auftritt des Zauberers eben.
Der Zirkusdirektor kündigte ihn als »Merlot der Magier« an, wozu Berit und Gina gleich die gleichnamige Weinrebe einfiel. Die Show wirkte dann auch streckenweise so, als habe der Zauberer eben diesem Getränk zu gut zugesprochen. Merlots Auftritt war eine einzige Parodie auf berühmte Vorbilder: Er ließ ein weißes Tigerbaby verschwinden und als Hauskatze wiederkommen, wobei er das Desaster in einer hinreißenden Pantomime als Siegfried und Roy kommentierte. In Ermangelung eines echten Eisenbahnwaggons zauberte er eine ganze Spielzeugeisenbahnanlage weg und proklamierte als ultimativen Trick die Verwandlung einer Barbiepuppe in eine junge Frau des Typs Claudia Schiffer – und zurück.
»Sehr praktisch auf Reisen!«
Claudia kicherte.
Der Zauberer war schlank und muskulös wie ein Tänzer. Er war noch recht jung oder wirkte zumindest so: Sein langes Gesicht unter einer Fülle goldbraunen Haars zeigte ständig einen leicht erstaunten Ausdruck, seine Nase war ein bisschen spitz, und seine Augen waren braun mit helleren, goldfarbenen Sprenkeln. Jetzt lachte er Gina zu und ließ einen Papierblumenstrauß vor ihrer Nase erscheinen.
»Für Sie, schöne Frau!«
Gina lachte. »Schöne Frauen verdienen echte Blumen!«, neckte sie ihn.
Merlot legte seine Stirn in imponierende Falten, schien nachzudenken und griff dann mit einer fließenden Bewegung eine echte, rote Rose aus der Luft.
»Die Rose der Rose!«, sagte er mit einer Verbeugung.
Gina war baff.
»Wie hat er das jetzt geschafft?«, fragte sie die ebenso verblüffte Berit. »Also langsam bin ich gespannt auf die Show!«
Natürlich beherrschte Merlot auch Seiltricks wie die des
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