Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
geschminkt und mit unternehmungslustig gebauschtem Pony ins Büro kam.
»Willst du dem Zeitungsschreiber imponieren?«, fragte sie grinsend.
Berit schenkte ihr einen gekonnten Diana-Blick. »Nur einen guten Eindruck machen«, beteuerte sie. »Außerdem hatte ich schon ewig kein interessantes Date mehr. Grauenfels ist ziemlich singlefeindlich. Oder siehst du das anders?«
Gina konnte ihr da nur zustimmen. Beide Frauen hatten sich vorerst in Grauenfels etabliert – Gina in der Mini-Pensionvon Lohmeiers, Berit in einem Kleinst-Apartment, das Barhaupts Nachbarn mal für eine Tochter ausgebaut hatten. Die war inzwischen nach Australien ausgewandert, und die Eltern konnten die Mieteinnahmen gut brauchen. Eigentlich hatten beide Frauen vorgehabt, möglichst oft zwischen Berlin und Grauenfels zu pendeln, aber das erwies sich in diesem Stadium der Erscheinungsorganisation als illusorisch. Zumindest wochentags und meist auch noch an den Wochenenden saßen sie in Grauenfels fest – und Nachtleben hatte der Ort nun wirklich kaum zu bieten.
»Dann ran an den rasenden Reporter«, sagte Gina lachend. »Aber verquassel dich nicht in Sachen Jungfrau, wenn ihr euch näher kommt!«
Berit schüttelte lächelnd den Kopf. »Gina, das Wort ›Empfängnis‹ kommt in meinem sexuellen Vokabular nur im Zusammenhang mit ›Verhütung‹ vor – und das Jungfrauenproblem hat sich auch schon vor zehn Jahren erledigt!«
Die Psychologin sollte ihren Test mit den Mädchen im Büro von BeGin durchführen. Deshalb räumte Berit das Büro sorgfältig auf. Schließlich durfte es keine möglichen Indizien für die mangelnde geistige Gesundheit der Büro-Besitzerinnen geben – auch der Glücksdrache wurde gnadenlos und ohne zu fragen in Frau Clarsens Büro verbannt und mit Katzenspielzeug friedlich gestimmt.
Gina wanderte währenddessen hoch zum Erscheinungsort. Die Sportlichere von BeGin hatte sich eine tägliche Inspektionstour entlang der wichtigsten Pilgerwege zur Gewohnheit gemacht. Damit vermied sie schon im Vorfeld Peinlichkeiten wie den Auftritt der UFO-Jünger am letzten Erscheinungstag. Sie behielt ihre teils jugendlichen Helfer unter Kontrolle und hatte ein scharfes Auge auf neue Verkaufs- und Infostände. Grauenfels brauchte die Lizenzgebühren – Ginas neuester Lieblingsspruch lautete »Schwarz missioniert wird nicht!« –,aber auf eine gewisse Qualitätskontrolle wurde doch Wert gelegt. Gina stoppte sowohl einen Schmuckhändler, der kleine Madonnen als Ohrgehänge anbot, als auch einen geschäftstüchtigen Esoterikhändler. Der Mann hatte einen Schwung Drahtpyramiden, die sich offensichtlich als Ladenhüter entpuppt hatten, kurzerhand mit einer Marienstatue aufgepeppt. Außerdem versuchte er, Das Wunder von Fátima im Package mit einer Broschüre zu indischen Liebestechniken zu verkaufen.
An diesem Donnerstag war relativ wenig los an der Wunderquelle. Es war ein nieselig-kalter Apriltag, der nur den allerhärtesten Kern der Gläubigen nach Grauenfels trieb.
»Auf die Dauer muss hier wirklich eine Kapelle hin«, dachte Gina und schlenderte von der Quelle zum Erscheinungsort hinüber. Hier hatte Barhaupt inzwischen Bänke aufstellen lassen – wobei das Grauenfels nicht mal etwas gekostet hatte. Ein in Tatenbeck frisch gegründeter Marienverein, argwöhnisch beäugt von Pfarrer Herberger, sorgte für die Bestuhlung.
Heute hockte allerdings nur eine einzige Frau in sich zusammengesunken in einer der Sitzreihen. Sie hatte einen Schal über ihr Haar gezogen, der auch ihr Gesicht verdeckte. Trotzdem kam Gina die Gestalt bekannt vor. Als sie etwas genauer hinsah, erkannte sie Frau Clarsen.
»Was machen Sie denn hier?«, fragte sie überrascht.
Frau Clarsen sah erschrocken auf. Anscheinend hatte Gina sie wirklich aus einer Andacht gerissen – oder jedenfalls aus der Versunkenheit in tiefste Verzweiflung.
»Beten«, nuschelte sie.
Wie Gina entsetzt bemerkte, wäre ihr eine normale Artikulation zurzeit nicht möglich gewesen. Frau Clarsens Lippe war aufgeschlagen und blutig, ihre linke Gesichtshälfte blaurot angeschwollen.
»Frau Clarsen, das war doch nicht wieder eine Tür!«, riefGina erschrocken und setzte sich spontan neben die junge Frau, die ihr Gesicht jetzt noch tiefer in ihrem Schal vergrub.
»Nein, das war – ich bin eine Treppe – ach verflucht, ich bin die Lügen so leid, die mir ohnehin keiner glaubt. Und jetzt habe ich auch noch geflucht im Angesicht der Jungfrau. Ich bin wirklich zu nichts nütze.« Frau
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