Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
Bedingungen, die eine Marienerscheinung vor Anerkennung durch die Kirche zu erfüllen hatte. Schwester Felicitas waren die Sprachregelungen offensichtlich nicht bekannt gewesen, sonst hätten die Äußerungen der Maria, die das Mädchen wiedergegeben hatte, sie weniger verwundert. Dem Reporter dagegen machte die kirchliche Zensur jede bekannte Marienerscheinung gründlich suspekt. Wenn man wirklich auf jungfräuliche Meinungsäußerungen hoffte, musste man sich vermutlich eher auf die nicht anerkannten Erscheinungsfälle konzentrieren.
Zu Rubens Verwunderung war der Pilgerverkehr in Grauenfels an diesem Tag kaum geringer als am Tag der Erscheinung. Die Parkplätze waren fast voll. Ruben bemerkte, dass der Junge, der die Autos einwies, ein sauberes Polohemd trug und sich um ein Lächeln bemühte. »Fahren Sie doch dort drüben hin, bitte, wenn es Ihnen keine Mühe macht. Diese Parkplätze hier reservieren wir für ältere Pilger. Macht fünf Mark« – und einige hundert Gläubige strebten zum Erscheinungsplatz. Ruben selbst war eigentlich eher auf der Suche nach der Redaktion der Lokalzeitung. Nach der himmlischen Recherche im Netz hatte er nun vor, das Archiv des Blättchensnach Informationen über die irdischen Protagonisten der Geschichte zu durchforschen. Auf dem Weg passierte er den inzwischen fest installierten Stand des Paderborner Devotionalienhändlers – dessen Angebot sich inzwischen um spezielleren Kitsch erweitert hatte. Ruben bemerkte Madonnen in Schneekugeln, Plastikmadonnen im Wald und sogar ein erstes Gemälde der Grauenfelser Madonna an der frisch verrohrten Quelle. Unter künstlerischen Gesichtspunkten war das Machwerk zwar größter Kitsch, aber der Maler würde damit unzweifelhaft ein Heidengeld verdienen.
»Ein ortsansässiger Künstler …«, erklärte der Händler vage, als Ruben nach dem Produzenten des Ölschinkens fragte. Wahrscheinlich blieb der- oder diejenige aus guten Gründen anonym.
Auch die Mädchengruppe war wieder vertreten – wobei die kleine Punkerin eine noch verblüffendere Verwandlung durchgemacht hatte als beim letzten Mal. Diesmal war ihr rotes Haar frisch gewaschen und zu einem braven Pagenkopf frisiert. Sie trug ein buntes Sommerkleid mit halblangen Ärmeln und hatte die Spuren des Nasenpiercings sorgfältig überschminkt.
»Mit dem Kauf einer unserer handgearbeiteten Wasserkaraffen unterstützen Sie die Regenbogenmädchen !«, erklärte sie mit süßem Lächeln. »Wir organisieren Bibel- und Gesprächskreise, führen, äh, Kochkurse durch und wollen uns jetzt auch um den Blumenschmuck an der Quelle kümmern. Und das Geld sammeln wir für einen Computer.«
»Wozu braucht ihr den denn?«, fragte Ruben mit mühsam unterdrücktem Grinsen.
»Na ja, äh … Zum Speichern von Rezepten.«
Ruben prustete los. »Also jetzt übertreibst du’s!«, erklärte er dem etwas verschämt blickenden Mädchen. »Letzten Sonntag fand ich dich irgendwie glaubwürdiger. Was ist aus der Selbstverteidigung geworden?«
Die Kleine – Ruben schätzte sie auf vierzehn bis fünfzehn Jahre – wurde fast so rot wie ihr Haar.
»Ich finde das hier ja auch Quatsch und fürchterlich unehrlich«, gab sie zu. »Aber je alberner wir uns aufführen, desto mehr von diesen Kübeln gehen über die Theke. Ich meine, ich würde die Dinger ja auch nicht kaufen, die meisten sind obendrein undicht – aber mit der richtigen Werbestrategie gehen sie weg wie warme Semmeln. Und den Computer brauchen wir wirklich. Die Geräte im Jugendclub sind immer von irgendwelchen männlichen Dumpfbacken besetzt, und wenn man nicht nachweist, dass man etwas wirklich Wichtiges tut – sprich, wenn es nicht knallt und zischt, weil man gerade online Monster erledigt –, steht gleich einer hinter einem und drängelt.«
»Also ist es nicht die religiöse Inbrunst, die euch zum Töpfern drängt, sondern schlichtes Geschäftsinteresse?«, neckte Ruben sie.
»Die Bibel sagt, wir alle sind Ton in des Schöpfers Hand – oder so ähnlich, hab ich extra nachgeschlagen, das erzähle ich immer, wenn einer die Pötte reklamiert. Von ›inbrünstigem Töpfern‹ steht da nix.« Das Mädchen fasste an seine Nase und vermisste dort offensichtlich den Ring, stattdessen zupfte sie nun nervös an ihrem Ohrläppchen. Ruben fand sie erfrischend natürlich. Besonders verglichen mit dem Auftritt der Seherkinder im Wäldchen am letzten Sonntag.
»Na, immerhin bist du bibelfest. Hast du auch einen Namen?«
»Mandy«, stellte sich das
Weitere Kostenlose Bücher