Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
nicht sagen«, bemerkte Bergstätter. »Ich hab ’ne Tochter in dem Alter – und die findet das schon ›geil‹, was da abgeht um die Seherkinder. Vielleicht sind die beiden einfach krankhaft geltungssüchtig und ziehen diese Show ab, um auf sich aufmerksam zu machen.«
Ruben bedachte diese Möglichkeit, verwarf sie aber sofort. Für den Streich zweier Schulmädchen war das Ganze zu professionell aufgezogen. Wozu ihm die Einstellung der beiden Medienreferentinnen einfiel, deren Funktion ihm nach wie vor schleierhaft war.
»Frau Mohn und Frau Landruh?«, fragte Bergstätter. »Tja, zuerst waren wir da auch etwas verwundert. Gut, Barhaupt brauchte Hilfe. Der Mann hat ja auch noch einen normalenBeruf, neben dem Bürgermeisteramt, und das Erscheinungshandling wurde langsam zum Vollzeitjob. Ist nur komisch, dass er sich Leute aus dem Westen kommen ließ. Das sieht ihm nicht ähnlich. Er kämpft gegen die Arbeitslosigkeit in Grauenfels wie ein Löwe. Aber andererseits: Wer hätte den Job hier machen können? Und die beiden sind wirklich gut, haben sich in null Komma nichts eingearbeitet, und seitdem läuft’s wie am Schnürchen. Die Presseinfos sind erste Sahne, der Service eins a – die zwei scheinen sich fast zu schämen, dass sie mit der Erscheinung selbst keine Fototermine organisieren können. Frau Landruh ist heute mit einem Fernsehteam von RTL oben im Wald, demnächst haben die sicher an die zwanzig Talkshow-Termine. Es war schon richtig von Barhaupt, das zu delegieren.«
»Aber warum gleich zwei volle Stellen? Und wie steht’s mit deren Hintergrund? Haben Sie da mal recherchiert?«
»Sicher.« Bergstätter sah seinen Kollegen fast tadelnd an. »Hätten Sie auch selbst machen können, dazu brauchten Sie nicht nach Grauenfels. Ein Mausklick im Internet hätte genügt. Die Landruh und die Mohn kommen beide aus der Werbung, ziemliches Spitzenteam, waren mehrmals im Rennen um die Preise des Art Directors Club. Den großen Wurf haben sie da zwar nie gelandet, waren aber konstant in den Jahrbüchern vertreten. Bis vor ein paar Monaten haben sie für Carsten & Company in Berlin gearbeitet und sich dann selbstständig gemacht. Die Agentur heißt BeGin – ganz witzig, aber ist wohl nicht so toll gelaufen.«
»Carsten & Company – sind das nicht die mit › Atomkraft ist Liebe ‹?«, erinnerte sich Ruben.
Bergstätter nickte. »Ich tipp mal drauf, dass das auch der Grund für die Kündigung war. Auf der Homepage von BeGin schreiben sie zu ihrer Firmenphilosophie, Werbung bedeute für sie nicht den totalen Verzicht auf ethische Grundsätze. Sie hätten sich unter anderem deshalb selbstständig gemacht, umdie Freiheit zu haben, zu bestimmten Produkten auch mal nein zu sagen.«
»Hm«, meinte Ruben. »Also Atomkraft ist bäh, aber ’ne Marienerscheinung können sie verantworten?«
»Die ist zumindest umweltverträglich«, feixte Bergstätter. »Bisher wurde keine radioaktive Strahlung gemessen, und man kann ihr auch nicht vorwerfen, ihren Müll überall rumliegen zu lassen. Höchstens die Gesänge der Fans verstoßen manchmal gegen die Lärmschutzverordnung.«
Ruben lachte und sah auf die Uhr.
»Ich muss los, ich habe gleich einen Termin mit Frau Mohn. Vielleicht kann ich auch ein paar Worte mit der Psychologin wechseln, die die Mädchen heute in der Mangel hat. Das dürfte interessant werden. Wollen Sie mitkommen?« Ruben hoffte auf ein Nein, wollte dem entgegenkommenden Kollegen aber immerhin die Chance einräumen, die Informationen ebenfalls aus erster Hand zu erhalten.
Bergstätter winkte tatsächlich gelangweilt ab. »Krieg ich garantiert spätestens morgen früh per Fax«, meinte er. »Wie gesagt, die Presseinfos lassen keine Wünsche offen. Ich glaub auch nicht, dass die Psychotante da irgendwas rausfindet. Die Seelenklempner haben noch nicht mal bei den Blagen in Medjugorge was gefunden, und die sind nun wirklich von der Rolle. Na ja, wer weiß, wen sie da hingeschickt haben. Viel Spaß jedenfalls!«
Während Bergstätter sich wieder den ungemein wichtigen Aufgaben des Chefredakteurs eines Provinzblättchens zuwandte, machte Ruben sich auf zum Bürgermeisteramt. Berits und Ginas Büro war leicht zu finden. Tatsächlich stand eine Bürotür weit offen, und Ruben hörte Berits dunkle, beschwichtigende Stimme in der Auseinandersetzung mit einem eher schrillen Organ.
»Und ob ich meine, dass meine Tochter jetzt eine Pause braucht! Claudia ist im Moment in einer sehr sensiblen Phase,sie braucht viel
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