Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
– so was gab’s doch schon mal, nicht? Eine Quelle habt ihr ja schon, das hätte sich sonst angeboten. Oder halt mal, wie wär’s, wenn eins von euren Seherkindern auf dem Weg zum Erscheinungsort von einem weißen Tiger angegriffenwürde? Dann sagt sie so was wie ›Weiche von mir!‹, und das Tier löst sich in Luft auf?«
»Ausbaufähige Idee«, meinte Gina. »Obwohl natürlich kein weißer Tiger infrage kommt, wir sind ja nicht im Zirkus! Am Anfang dachten wir eigentlich eher an etwas … Na ja, wir dachten, die Jungfrau müsste sich einfach mal der ganzen Meute zeigen. Damit wir aus diesem Status der ›Privatoffenbarung‹ rauskommen.«
»Verstehen Sie, wir dachten an ein Massenphänomen. Wenn alle die Erscheinung sehen – schemenhaft natürlich, aber da muss schon was sein! –, dann hätten wir Zeugen.«
»Und einen Run auf die Hotelbetten«, ergänzte Merlot grinsend. »Mensch, Grauenfels wird noch berühmter als Loch Ness!«
»Das wäre ein netter Nebeneffekt«, meinte Gina und kraulte den Drachen. Friedrich äußerte sein Entzücken, indem er abwechselnd das linke und das rechte Augenlid hob.
Merlot betrachtete sie wohlgefällig. »Was wir also brauchen, wäre eine Projektion. Hätten wir denn eine Felswand oder so was? Und vor allem: Wie sieht die Dame eigentlich aus?«
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Königin der Herzen und ein bisschen schwarzes Blut
F ür eine Projektion brauchen wir ein Bild. Am besten ein Dia«, führte Merlot begeistert aus. Er sah es als besondere Herausforderung an, dass er die Jungfrau Maria erscheinen lassen sollte. »Haben Sie so was?«
Gina nickte. »Massenweise. Die Grauenfelser Marienszene schwimmt in Heiligenbildchen.«
»Aber die können Sie doch nicht einfach abfotografieren!« Merlot zog missbilligend die Stirn kraus. »Was ist mit dem Copyright? Wollen Sie da einen Künstler um sein Honorar betrügen?«
Gina winkte unbekümmert ab. »Wir nehmen eins von Leonardo da Vinci oder so. Der ist schon tot. Oder ich male selbst.«
»Sie bringen nicht den richtigen Ernst auf!«, tadelte Merlot. »Nein, wirklich, das mit dem Copyright war natürlich ein Scherz, aber ein Heiligenbildchen kommt nicht infrage. Das könnten die Leute wiedererkennen. Es darf sowieso kein Gemälde sein, das wirkt nicht echt. Wir brauchen ein Foto, besser zwei oder drei, dann könnte ich vielleicht etwas Bewegung reinbringen. Die Projektion darf ja nur ganz kurz kommen und ganz schwach, die Leute müssen selbst ein bisschen daran zweifeln, was sie gesehen haben – und sie dürfen keine Gelegenheit haben, das Phänomen zu knipsen.« Merlot kam jetzt in Fahrt.
Gina beobachtete fasziniert, wie er dabei mit Händen und Füßen gestikulierte und manchmal wie nebenbei die Zuckerdose oder das Kaninchen verschwinden ließ.
»Wenn das einer auf dem Film hat und Experten untersuchen das Bild, dann haben sie uns. Das muss euch klar sein!«
Das frustrierte Kaninchen steckte schnuppernd den Kopf aus Merlots Hosentasche. Der Zauberer streichelte es fahrig und half ihm heraus.
»Ich würd’s deshalb auf keinen Fall an einem der Erscheinungstage machen«, überlegte er weiter. »Da liegen zu viele Leute mit Videokameras und Fotoapparaten auf der Lauer. – Besser ein anderer Tag, an dem nur zwanzig oder dreißig Pilger anwesend sind. Das reicht vollkommen. Ich muss mir das Gelände auch vorher noch anschauen. Passt mal auf, ich habe morgen keine Vorstellung. Soll ich da einfach mal bei euch vorbeischauen?«
*
Merlot erschien pünktlich, ohne Leguan und Tiger, nur Pudelhündin Claudette wich ihm nicht von der Seite. Zumindest bis zu ihrer Begegnung mit Rex. Der sabbernde Riesenköter gewann ihr Herz mit dem ersten Schnüffeln. Claudette tanzte zierlich auf den Hinterbeinen vor ihm herum, während Gina Igor Barhaupt den Magier vorstellte.
»Und Sie wollen uns nun die Jungfrau herzaubern?«, fragte der Bürgermeister skeptisch. »Na, wenn das mal gut geht …«
»Also für die Unberührtheit der Erscheinung kann ich nicht garantieren«, sagte Merlot und ließ grinsend ein Heiligenbildchen aus der Luft auftauchen. »Hier, hab ich gerade geschenkt gekriegt. Als Zugabe für den Parkplatz sozusagen. Saftige Gebühren haben Sie da übrigens, kann man nicht anders sagen!«
Barhaupt warf Gina einen entnervten Blick zu. »Haben die Jungs schon wieder erhöht? Da müssen wir langsam einen Riegel vorschieben … Vor allem sollten unsere eifrigen Jungunternehmer die Einnahmen bald mal versteuern!«
»Aber ich kann Ihnen die Dame
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