Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
streicheln«, meinte er entschuldigend. »Kraulen Sie vorsichtig die Stirn zwischen den Augen. Das liebt er! Ist übrigens eine Art Chamäleon und verfärbt sich manchmal. Also nicht irritiert gucken, wenn er gleich rot wird …«
Merlot wies auf Berits roten Flauschpullover.
Berit schluckte ein bisschen. Gina fand das Ganze eher komisch.
»Also, wir müssen uns erst mal vorstellen. Ich bin Gina Landruh, und das ist Berit Mohn. Wir arbeiten als Medienbeauftragte von Grauenfels.«
Merlot legte überlegend nicht nur die Stirn, sondern gleich sein ganzes Gesicht in Falten. »Grauenfels? Ist das nicht das Kaff, wo wir neulich gastiert haben? War nicht viel los da, was nicht verwunderlich ist. Die Typen haben ja selbst ihren Zirkus. Oder ist das nicht der Ort mit der Marienerscheinung?« Merlot füllte eine Kaffeemaschine. Beim Kaffeekochen fanden seine magischen Fähigkeiten offensichtlich ihre Grenzen. Schließlich wandte er sich um und sah Gina prüfend an.
»Aber Moment, Sie waren in der Vorstellung, nicht wahr? Mit einem kleinen Jungen. Ihrer?«
Gina verneinte energisch.
Merlot lächelte. »Dann war die Rose ja nicht an eine schon vergebene Frau verschwendet«, meinte er galant. »Verzeihen Sie, dass ich Sie nicht gleich erkannte!«
Mit einem entschuldigenden Diener griff Merlot in die Luft und förderte eine weitere Rose zutage, diesmal eine weiße. »Verblasst im Angesicht Ihrer Schönheit!«, kommentierte er galant, während er sie Gina entgegenhielt. Gleich danach wurde er wieder sachlich. »Womit kann ich Ihnen denn nun helfen? Mein Name ist übrigens Merlot, Mitglied der internationalen Zauberergilde, Hüter der sieben Geheimnisse von Atlantis, Eingeweihter der Mysterien von Avalon …«
»Ist ›Merlot‹ nicht eher ’ne Weinmarke?«, fragte Berit provozierend. »Ich dachte, Zauberer heißen ›Merlin‹.«
Der Magier verzog sein Gesicht zu einem Ausdruck äußersten Missfallens. »Was für eine nüchterne Betrachtungsweise«, rügte er scherzhaft. »Aber Sie haben natürlich Recht. Bedenken Sie allerdings den Wiedererkennungswert! ›Merlot‹ … darin spiegeln sich ›Merlin‹ und ›Camelot‹, der inspirierende Glanz alten Rotweins in gläsernen Kelchen, der Gral … bürgerlich heiße ich übrigens Rudi Reinhardt. Wenn Sie das besser finden … Lass das jetzt mal, Jenny, was soll denn der Besuch von dir denken!«
Merlot griff nach dem weißen Tiger, der eben seine Krallen an den Polstermöbeln wetzte. Die Einrichtung des Wohnmobils sah überhaupt schon etwas ramponiert aus. Weiße Tiger und Reptilien schienen nicht gerade rücksichtsvolle Hausgenossen zu sein. Sicher auch das ein Grund, weshalb Merlot etwas abseits der restlichen Zirkusgemeinde lebte.
»Warum zaubern Sie sie nicht einfach weg?«, fragte Gina grinsend, während Merlot das Tigermädchen neben einem Katzenkratzbaum absetzte.
»Das würde sie mir übel nehmen!«, meinte Merlot grinsend. »Sie ist eine sehr selbstbewusste junge Dame, die gern im Mittelpunkt der Ereignisse steht. Insofern lässt sie sich auch deutlich lieber zersägen als in Luft auflösen. Aber im Ernst. Was kann ich für Sie tun?« Der Zauberer stellte leicht angeschlagene Kaffeebecher auf den Tisch und griff den Zucker beiläufig aus der Luft.
»Es ist eine … hm, eine etwas delikate Angelegenheit«, begann Gina. »Zunächst mal … Sie erwähnten vorhin so was wie eine Schweigepflicht der Magier. Was bedeutet das, und inwiefern ist die bindend?«
Merlot zuckte die Schultern. »Das ist eher eine Frage der Ehre. Wir verpflichten uns bei der Aufnahme in die Gilde, die Tricks nicht zu verraten. Wenn jeder wüsste, wie es geht, ginge ja niemand mehr in den Zirkus oder ins Varieté. Natürlich können wir Schüler annehmen … Aber Sie sind doch nicht hier, um Zaubern zu lernen? Hören Sie, warum erzählen Sie mir nicht einfach, worum es geht? Geheimnisse sind nirgendwo besser aufgehoben als bei einem berufsmäßigen Magier!«
Berit holte tief Luft. »Es geht um einen Auftrag«, meinte sie dann.
»Was wir brauchen«, fügte Gina hinzu, »sind ein oder zwei Wunder.«
Nach zwei Tassen Kaffee und vielen Streicheleinheiten für alle beteiligten Vierbeiner – zuletzt kraulte selbst Berit selbstvergessen Jennys weiches Tigerfell – war Merlot als Mitstreiter gewonnen.
»Und wie habt ihr euch das jetzt gedacht?«, fragte er kichernd. Im Eifer des Gefechtes duzte er die Frauen ganz ungeniert. »Soll ich ein Pokémon erscheinen lassen? Oder eher ein Rosenwunder
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