Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
Ruben vergnügt. Er erinnerte sich noch gut an den ersten Besuch des Reporters und berichtete von astronomischen Umsätzen.
»Wir sind in Paderborn gleich am Domplatz, aber das ist kein Vergleich zu dem hier! Ist natürlich ziemlicher Kitsch, den wir hier umsetzen, aber was soll’s! Wenn die Leute es so wollen … Die Bilder und Amulette gehen am besten. Und neuerdings auch die T-Shirts.«
Aquarelle und Drucke der ersten Gemälde gab es inzwischen in den unterschiedlichsten Größen und Stilen, teilweise recht professionell gemacht. Dazu Postkarten mit Bildern der Quelle und des Erscheinungsortes – auch die Fotoserie des Rentners war gerahmt zu haben. Den Knalleffekt bildeten allerdings bunte T-Shirts mit einem Bild der Madonna. Wahlweise waren sie mit der schlichten Aufschrift »Love!« zu haben, teilweise mit Sprechblase: »Ihr sollt Euch lieben!« Ruben überlegte kurz, ob er eins davon kaufen und vor der Begegnung mit Berit überziehen sollte, entschied sich dann aber dagegen.
Die Initiative »Wir tun was!« verkaufte ihre Wasserkanister inzwischen gefüllt und erzielte gute Umsätze – kein Wunder bei Wartezeiten von bis zu drei Stunden an der Quelle. Regine Martens, die Mutter eines der Seherkinder, verbürgte sich in einem Schreiben persönlich für die Echtheit des Wassers. Ruben grinste vor sich hin.
Ein paar Schritte weiter traf er dann eine alte Freundin wieder. Mandy stand an ihrem Verkaufsstand – und hatte ihren Ring wieder durch die Nase gezogen. Ihr Haar trug sie jetzt in einem etwas frechen, aber nicht punkigen Stufenschnitt, ihr langes Batikkleid war aufreizend lila, aber sauber und nicht zerknittert.
Eben erklärte sie einer jungen, langhaarigen Frau, deren Lebensgefährte einen Kinderwagen schob, die Ziele ihrer Organisation. »Wir sind eine Mädcheninitiative, die sich vorgenommen hat, die Botschaften der Madonna von Grauenfels zu leben! Ohne Zwänge, ohne Angst, selbstbewusst und stark in unserer weiblichen Identität. Natürlich fällt das nicht immer leicht. Deshalb haben wir unsere Gesprächskreise, unsere Aktionsgruppen gegen Gewalt in der Familie. Aber wir veranstalten auch Computerkurse, arbeiten mit pro familia zusammen …«
»Nanu, du kommst deinem Ursprungslook ja wieder näher«,wunderte sich Ruben, nachdem die junge Familie mit einer quietschbunten und völlig überteuerten Wasserflasche abgezogen war. »Was ist aus dem braven Regenbogenmädchen geworden?«
Mandy grinste. »Kundenorientierung – wir gehen mit der Zeit. Feminismus ist in bei unseren Pilgern. Solche Leute wie die da haben wir neuerdings massenweise. Sehr gute Kundschaft, fast alles Pädagogen. Und das Beste ist, dass sie die Pötte nicht reklamieren! Das ginge gegen deren soziale Ader. Und außerdem müssten sie dann zugeben, dass sie sich nicht an der Quelle angestellt haben wie das einfache Volk.«
Ruben lachte. »Das neue Gesicht der Madonna ist dir also sympathischer?«
Mandy nickte eifrig. Ruben entdeckte dabei zwei neue Piercings. Die beiden Ringe in der rechten Augenbraue klapperten im Takt, wenn Mandy den Kopf bewegte. »Klar. Die bringt doch mal frischen Wind in den Ort. Hätten sie von Anfang an so machen sollen!«
»Wer sie ?«, fragte Ruben alarmiert.
»Na, Claudia und Sophie und die anderen, die das organisieren. Fragen Sie mich nicht weiter, ich weiß nicht, wer. Auch wenn ich natürlich einen Verdacht habe. Aber ich würde auch keinen verpfeifen, wenn ich’s genau wüsste. Das hier ist obergeil! Das kann von mir aus noch drei Jahre so gehen!«
Im Bürgermeisteramt war es diesmal nicht so ruhig wie bei Rubens letztem Besuch. Im Flur warteten mehrere Leute, einige davon sicher Journalisten. Gina diskutierte bei offener Tür lauthals am Telefon. Die junge Frau wirkte erstaunlich frisch trotz der brütenden Augusthitze, die von den Mauern des Bürgermeisteramts kaum gemildert wurde. Offensichtlich genoss sie ihren Job.
»Nein, das Gewerbeamt wird sich schon was bei dem Verbot gedacht haben, Ihren Schuppen Immaculata zu nennen.Das ist schließlich eine Bar, Mann, Sie wollen doch keine religiösen Gefühle verletzen! Ein Irish Pub? Ja, finde ich auch, dass der hier fehlt. Ja, und die Idee ist ja auch ganz pfiffig … und sicher sind die meisten Iren katholisch … Hören Sie, ein Kompromiss: Wie wär’s, wenn Sie sich eine nette Angestellte namens ›Maria‹ als Alibi suchen, und dann nennen Sie den Laden Mary’s Corner. Wenn Sie das so einreichen, unterstütze ich Sie. Aber nicht
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