Das Wunder von Treviso
und das Heiligtum von Treviso entführt hatte. Zunächst glaubte man noch an einen bösen Scherz und hoffte, die Statue würde in den nächsten Tagen wieder auftauchen. Als nichts dergleichen geschah, stellte man Überlegungen an, ob es sich dabei etwa um einen terroristischenAkt gehandelt haben könne, aber wenn man ehrlich war, schien diese Theorie reichlich aus der Luft gegriffen, denn welcher Terrorist hätte schon bei Nacht die unbeleuchtete Straße nach Treviso gefunden?
Letztlich einigte man sich darauf, dass es nichts brachte, sich wilden Spekulationen hinzugeben, sondern dass man einfach abwarten müsse, ob sich die Entführer meldeten. Bis dahin übte man sich in kaum verhohlener Ungeduld. Nur Don Antonio, den das Verschwinden der Madonna doch am härtesten getroffen haben musste, strahlte eine erstaunliche Ruhe und Gelassenheit aus. Man schrieb dies seinem starken Glauben an das Gute im Menschen zu und nahm sich ein Beispiel an dem Dorfpfarrer, der nicht müde wurde zu predigen, dass diese schreckliche Geschichte sicher gut ausgehen werde, denn alles liege in Gottes Hand. Als Maria ihren Bruder so reden hörte, wunderte sie sich im Stillen und schüttete ihr Herz im Hinterzimmer von Luigis Laden aus, als der gerade Mittagspause machte.
«Habt ihr denn immer noch nicht miteinander geredet?», fragte Luigi.
«Nein, haben wir nicht. Und soll ich dir was sagen? Das ist auch nicht nötig. Ich weiß, dass er weiß, dass ich weiß, dass er die Madonna versteckt hat. Was ich nicht weiß, ist,
warum
er es getan hat.»
Im Grunde gab Luigi ihr recht, aber im Stillen fragte er sich dennoch, warum die Geschwister ein solches Versteckspiel miteinander trieben.
«Weißt du, was Antonio gestern noch zu mir gesagthat?», plapperte Maria weiter. «Er hat gemeint: ‹Maria, dass die Madonna fort ist, löst eine Menge Probleme.› Und da frage ich dich doch, was hat er damit nun wieder gemeint? Und außerdem streicht dieser Salvatore Tarlo ständig ums Haus, und ich komme ums Verrecken nicht drauf, was die beiden im Schilde führen.»
«Und das ärgert dich», stellte Luigi amüsiert fest.
«Ja, das ärgert mich!» Maria stand auf, nahm ihre Handtasche, gab ihrem Liebsten noch einen lauten Kuss auf die Wange und machte sich dann auf den Weg nach Hause. Als sie über den Dorfplatz marschierte, kamen ihr Massimo und Giorgio entgegen. Massimo stützte den offensichtlich betrunkenen jungen Mann, indem er sich dessen linken Arm über die Schulter gelegt hatte und ihn nun mit sich schleifte. Dabei brüllte Giorgio unentwegt «TARJA, TARJA!», und Maria fragte sich, ob nicht inzwischen das ganze Dorf übergeschnappt sei.
16
Er hatte es nicht gewagt, einfach an der Haustür zu klingeln. Don Antonio hatte ihm ja verboten, bei ihm aufzutauchen, denn er wollte nicht, dass die Leute über ihre Verbindung allzu gut Bescheid wussten. Deshalb schlich Salvatore Tarlo seit zwei Tagen im Abstand von wenigen Stunden relativ auffällig am Pfarrhaus vorbei, um Don Antonio dazu zu kriegen, ihn endlich ins Hauszu lassen. Er musste mit ihm reden, und er konnte das, was er von ihm wollte, nicht am Telefon besprechen. Am Nachmittag des zweiten Tages wurde es Don Antonio zu bunt, und er rief durchs Küchenfenster, Salvatore solle seinen Arsch in Richtung Hintereingang bewegen, was dieser auch tat, um dann Sekunden später in der Pfarrküche einem angesäuerten Pater gegenüberzustehen.
«Was ist so schrecklich wichtig, dass du dich nicht an unsere Abmachung hältst?», wollte Don Antonio von ihm wissen. «Wir haben doch ausgemacht: keine Besuche, keine Anrufe, überhaupt keinen Kontakt. Wir kommen in Teufels Küche!»
«Bis dahin nehme ich mal mit deiner Küche vorlieb.» Salvatore war eigentlich gar nicht zum Scherzen zumute, aber er konnte nicht anders. Der Pater war stets von so ausgesucht unhöflicher Art, dass er darüber ständig Witze reißen musste, denn eigentlich hatte er Don Antonio sehr gern.
«Sag also, was du zu sagen hast, und dann verschwinde.»
Salvatore holte tief Luft und platzte heraus: «Hast
du
die Madonna verschwinden lassen?»
Don Antonio überlegte kurz, ob er darauf antworten sollte, besann sich dann aber, dass Salvatore sich im Grunde ohnehin seinen Teil denken würde, und sagte: «Ja, hab ich. Zufrieden?»
Salvatore ließ sich erleichtert auf einen Küchenstuhl fallen.
«Gott sei gepriesen, ich dachte schon, die hätten sie wirklich entführt.»
«Und wennschon, was würde es für einen Unterschied machen?
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