Das Wunder von Treviso
hingegen überhaupt nicht. Schon als Kind hatte er ihr nie etwas vormachen können. Zu seinem Glück glaubte Maria ihm auf Anhieb, dass er kein Erpresser war, denn wenn sie auch keinen unerschütterlichen Glauben an das Gute im Menschen besaß, so glaubte sie doch immerhin an das Gute in ihrem Bruder.
«Dann haben wir es hier mit einem Trittbrettfahrer zu tun», konstatierte sie. «Was machen wir jetzt?»
Don Antonio, der eine lange und anstrengende Besprechung mit dem Bischof Santini hinter sich hatte, bei der ihm der Bischof klar und deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass Don Antonio auch nach dem Verschwinden der Madonna mit einem Besuch desvatikanischen Abgesandten zu rechnen habe und dass Francesco de Renzi
sein
Problem sei, und nicht das des Bischofs. Offensichtlich ging Bischof Santinis Nächstenliebe zwar weit, aber nicht so weit, dass er Kopf und Kragen für Don Antonio riskieren wollte.
Don Antonio sah sich das Erpresserschreiben noch einmal genauer an. Es bestand aus lauter zusammengeklebten Papierschnipseln, die fein säuberlich aus einem Buch herausgeschnitten worden waren.
«Hat der Bürgermeister gesagt, ob er trotzdem die Polizei einschalten will?», fragte Don Antonio.
«Nein, aber wenn du mich fragst, dann wird er es nicht tun. Stattdessen will er eine große Aktion starten und von Haus zu Haus ziehen, um Spenden für das Lösegeld einzusammeln. Er bittet dich auch, die Kollekte von Mittwochabend zur Verfügung zu stellen, und hat gefragt, ob du über irgendwelche Ersparnisse verfügst.»
«Der alte Geizkragen!», entfuhr es Don Antonio. «Anstatt dass er sich einmal selbst an die Nase fasst, soll ich nun wieder für ihn blechen. Kommt überhaupt nicht in Frage!»
«Er will das Geld ja nicht für sich, er will es für die Madonna, und da du die Statue erst präpariert hast, um sie anschließend wieder verschwinden zu lassen, kann man eigentlich nicht behaupten, dass den Bürgermeister irgendeine Schuld an der ganzen Misere trifft.»
So, so, dachte Don Antonio, dass ich die Madonna zum Weinen gebracht habe, weiß sie also auch längst. Tatsächlich aber sagte Don Antonio nichts, sondernbrummte nur etwas und sah seine Schwester aus grauen, erschöpften Augen an, so als ob sie jetzt eine Lösung finden müsse. Denn langsam wuchs ihm das Unternehmen «Das Wunder von Treviso» über den Kopf.
Wenn er nur wüsste, wie er den Spuk stoppen könnte, doch ihm fiel rein gar nichts ein, und alles, woran er wirklich denken konnte, waren Massimos Spaghetti al pomodoro, denn er hatte Hunger. Beim Bischof hatte es nichts zu essen gegeben.
Also war es Maria, die eine Lösung für das Problem fand: Sie würde die Madonna einfach wieder auftauchen lassen und damit den Erpressungsversuch des Trittbrettfahrers vereiteln. Wie sich herausstellen sollte, war es ein geradezu genial einfacher Plan, den die Schwester des Paters ausgeheckt hatte, und insgeheim zollte Don Antonio ihr dafür eine gewisse Bewunderung. Wer hätte geahnt, dass es in seiner Familie gleich zwei Menschen mit so großer krimineller Energie gab? Nie zuvor hatte sich Don Antonio seiner Schwester so verbunden gefühlt, und nie zuvor hatte er sich dieser innigen Verbundenheit wegen so geschämt. Was war nur aus ihnen geworden?
19
Sehr geehrter Herr Bürgermeister von Treviso,
bitte leiten Sie diese Karte an Ihren Neffen Giorgio weiter.
Lieber Giorgio,
ich hoffe, diese Karte erreicht Dich auch tatsächlich. Ein alter Mann hat mir im Bus erzählt, dass Du der Neffe vom Bürgermeister bist. Er hatte zwar eine Alkoholfahne, aber ich glaube, er kennt Dich wirklich. Wie geht es Dir? Ich denke viel an Dich und wollte Dir sagen, dass ich es ganz toll fand in Treviso. Und mit Dir.
Küsse, Deine Tarja
PS: Bin in Amsterdam, aber das siehst Du ja, wenn Du die Karte umdrehst. Hier ist es kalt und nass. Vermisse Italien. Und Dich …
«Na, das ist doch was!» Massimo klopfte seinem jungen Freund anerkennend auf die Schulter. «Wer hätte denn damit gerechnet, dass sie dir tatsächlich schreibt?»
Giorgio musste ihm recht geben. Beinahe wäre er rückwärts vom Stuhl gekippt, als die Sekretärin seines Onkels plötzlich mit der Postkarte vor ihm gestanden hatte. Nun trug er sie stolz in der Brusttasche seines Hemdes spazieren und strahlte seine Umwelt so überaus gutgelaunt an, dass man gar nicht umhinkonnte, ihn nach dem Grund zu fragen, woraufhin Giorgio bereitwillig nach Tarjas Postkarte griff und den Inhalt wahlweise vorlas oder
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