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Das wunderbarliche Vogel-Nest

Das wunderbarliche Vogel-Nest

Titel: Das wunderbarliche Vogel-Nest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen
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Pfärchinger? der nicht bey seinem Pferd? vor ein Pfarrer / der nicht auff seiner Pfarr? vor ein Bischof? der nit bey seinen Schaafen bleibt? Warumb hilfft er die Begängnüsse der Abgestorbenen die ausserhalb seiner Pfarr allbereit an ihren Ort gangen / mit mehrerm Wein als Weywasser begehen / und läst hingegen die krancke Schäflein seines Pfärchs / die ihm zu hüten sonderlich anvertrauet seyn / in diesem elenden Leben / das ein immerwehrender Streit ist / auß Mangel der Artzney / die er ihnen mittheilen solte / bey nahe gantz jämmerlich verschmachten?
    O Mon dieu! sagte ich mit den Frantzosen / was wird endlich werden? Jn diesen unwirschen Gedancken gieng ich mit dem betrübten und geängstigten Hirten nach Hauß / weil ich ihme anders nicht als unter eines Priesters Händen zuverlassen gedachte / auß Vorsorg / er möchte wieder in neue Anfechtungen fallen / worinn ich ihm vielleicht tröstlich beyspringen könte / darauff hatte er und ich eine betrübte und traurige Nacht; Er zwar / weil er sich dessen was er denselben Tag beginnen wollen / erinnerte; ich aber / weil ich wuste / was ich die verwichene Nacht schon würcklich vollbracht hatte; Essen und Trincken / geschweige Singen und Springen war fern von uns beyden / ja wir waren alle beyde in unsern Gemüthern so beschaffen / daß uns auch der sonst angenehme Schlaff nicht schmeckte.
    Dannenhero waren wir desto früher auff; der Hirt dingte einen andern Mann / der mit seiner Heerde frühe außfahren / und solche denselben Tag hüten muste / er selbst aber muste sein ächzende Seele mit Gedult speisen / biß ihr Hirt den Rausch außgeschlaffen / so sich ungefehr biß um neun Uhr verzog; alsdann stelte er sich bey demselben in gebührender Demut ein / bey welchem ich ihn in der Kirchen verliesse / und meinen Weg immerfort heimwerts nahm / umb ihme in rechtschaffener Busse zu folgen.

Denselben gantzen Vormittag traff ich nichts Erzehlungswürdigs an / und eben darumb war ich desto müssiger / dieselbe Zeit hindurch meiner Beschaffenheit; item was ich mir vorgenommen und doch nicht gehalten / nachzusinnen; da befande ich auß eigner Erfahrung / daß zwar dem Menschen nöthig und ein trefflich Mittel sey / zu Vermeidung der Sünden GOttes Gegenwart (welches ohne das seine Schuldigkeit ist) mit demüthiger Reverentz immer vor Augen und in dem Gedächtnüß zu haben / daß solches aber gleichwol vor einen angehenden noch nicht genug / wann er nicht auch zugleich ohne unterlaß den getreuen GOtt um Hülff / Gnad und Beystand anrufft / daß er seine elende Gebrechlichkeit nicht fallen lassen wolle; Jnsonderheit aber auch diß Orts das jenig fleissig darbey thue und observire; nemlich daß er alle verdächtige Oerter meyde / da er besorglich sündigen könte / ob er gleich einen steiffen Vorsatz hat nimmermehr zu sündigen / dann die Gelegenheit macht den Dieb / und wir wissen / daß das Quecksilber auch das aller beste Gold dermassen befleckt / daß es zu seinem vorigen Glantz und schöner Farb nicht mehr gelangt als durchs Feur; und eben deßwegen sollen Leute die GOtt nicht erzörnen wollen alle Oerter und Gelegenheiten vor verdächtig halten / vornemlich aber dem Trunck und dabey befindlicher Gesellschaft sich nimmermehr vertrauen / noch sich auff sich selbst verlassen / er habe ihm gleich eine so grosse Beständigkeit vorgenommen als er immer wolle.
    Dergestalt sonne ich meiner Beschaffenheit nach / und fande meine Nichtigkeit je länger je mehr; mein thumme Unwissenheit und geringes Vermögen sahe ich je länger je besser / und konte leichtlich darauß schliessen / wann ich nicht mit unaußgesetztem Fleiß meiner Seelen Wohlfahrt anders und zwar besser beobachten / und meinen sündlichen Begierden ernstlicher wiederstehen und dieselbige vorsichtiger im Zaum halten würde / daß meine Seligkeit auff Steltzen gienge.
    Jn Betrachtung nun dieser meiner Undichtigkeit / bißherigen Jrrsahl und grossem Unwissenheit legte ich mich unter einem Baum nieder und sahe einem kleinen Waldvögelein zu / mit was vor grosser Sorgfalt und Behutsamkeit es beydes seine Nahrung und das Genüstwerck zu seinem Nest von der Erden auffhub und hintrug; Es setzte sich niemal auff den Boden / es sahe zuvor ob ihm nit Strick und Garn gerichtet wären / es zu fangen! Es hube kein Körnlein auff es sahe sich zuvor etlichmal umb / ob kein Schütz auff es im verborgenen lautet der es etwann schiessen könte! Es flohe niemal wiederumb in den freyen Lufft sein eigen Element / es betrachtete

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