Das Yakuza-Mal
gleicher Höhe mit ihr und stellte fest, daß sie mit ihren hochhackigen Schuhen nur zweieinhalb Zentimeter kleiner war als er in seinen Turnschuhen. Sie sagte: »Ich kenne Ihre Dienstakte. Sie mögen damals vielleicht Captain gewesen sein, aber versuchen Sie bloß nicht, sich mir gegenüber mit Ihrem Rang aufzuspielen.«
»Das würde mir nie im Leben einfallen. Warum hat nur niemand gesagt, daß Sie eine Frau sind?«
»Vielleicht hofften sie, daß Sie das selbst feststellen könnten - ich hab keine Ahnung. In dieser Sache ist ohnehin alles schiefgelaufen.
Warum hätte das jetzt gutgehen sollen?«
»Sie ... äh« — er senkte die Stimme — »was ist mit meinem Spritzer?« Sie blieb abrupt stehen, drehte sich um und holte mit der rechten Hand aus, als wolle sie ihn ohrfeigen. Ihre grünen Augen wirkten einen Augenblick lang eiskalt. Dann fing sie an zu lachen, ließ ihren Arm sinken und umarmte ihn. Er ließ sein Gepäck fallen. Ihre Lippen waren an seinem Ohr, er spürte eine deutliche Regung in seinen Lenden. »Sie meinten eine Knarre, nicht wahr?« flüsterte sie und kicherte dabei. Die Regung in seinen Lenden wurde stärker.
Sie ließ ihn los und nahm eine seiner Taschen, als sei sie federleicht.
»Ach so, Sie dachten .. .So direkt bin ich nun auch wieder nicht. Aber dagegen hätte ich auch nichts einzuwenden.«
Sie sah ihn an, lachte und setzte ihren Gewaltmarsch durch den Flughafen fort.
Mulvaney mußte eine Wahnsinnstaxifahrt, dann eine Zugfahrt im schnellsten Zug, in dem er je gesessen hatte, dann wieder eine Taxifahrt über sich ergehen lassen, bevor ihm wieder ein Zustand vergönnt war, der wenigstens entfernt der Normalität ähnelte. Er wurde in einem Hilton-Hotel untergebracht. Zwar stieg er auch in Amerika nicht gerade häufig in Hilton-Hotels ab, doch betrat er das Hilton jetzt mit großer Erleichterung. Denn obwohl weniger als fünf Stunden verstrichen waren, seit er das Flugzeug verlassen hatte, verspürte er bereits ein intensives Heimwehgefühl nach Amerika. Oakwood hatte während der Zugfahrt kaum mit ihm gesprochen. Sie war ihm lediglich dabei behilflich gewesen, ein Lunchpaket zu bestellen, nachdem er über Hunger geklagt hatte.
Sie hatte ihm gezeigt, wie man mit Stäbchen aß, was er auch zuvor oft versucht und nie begriffen hatte, und ihn überdies mit Informationen über den Bullet Train, den Fudschijama und den Traditionalismus der Kiotoer Gesellschaft (er hatte bis dahin keine Ahnung, daß sie überhaupt nach Kioto fuhren) versorgt. Schließlich hatte sie ihm erklärt, wo sich der Waschraum befand. Sie wirkte wie eine Touristenführerin.
Ihre Beziehung entwickelte sich nicht gerade vielversprechend, fand Mulvaney.
Die Eingangshalle des Hilton war japanisch eingerichtet, wirkte aber dennoch wohltuend vertraut. Er meldete sich an und legte Paß und Visum vor. Nebenbei erzählte er ihr, daß einmal im Ausland sein Visum annulliert worden war, weil er versehentlich seine MasterCard gezeigt hatte. Sie lachte nicht darüber. Dann ging er auf sein Zimmer.
Oakwood trug immer noch eine seiner Taschen.
Sie schloß die Tür auf und betrat als erste den Raum. Mulvaney blieb auf dem Flur stehen und fragte: »Darf ich 'reinkommen, Mammi?«
»Kommen Sie herein und machen Sie die Tür hinter sich zu.« Mulvaney trat ein, machte artig die Tür zu und stellte seine Tasche ab. Es war ein standardmäßig eingerichtetes Hotelzimmer der gehobenen Preisklasse. Eigentlich war es gar kein Einzelzimmer, sondern eine kleine Suite mit einem Wohn-, Schlaf-und Badezimmer. Er nahm die Räume kurz in Augenschein: Die Einrichtung war europäisch, die Ausstattung japanisch. Als er wieder ins Wohnzimmer zurückkam, hatte Andrea Oakwood ihren Poncho abgelegt. Sie trug einen Rock, eine Bluse und einen Pullunder. Die Bluse war weiß, der Pullunder kamelhaarfarben. Sie trug wenig Schmuck: kleine Ohrringe, eine dünne Goldkette hatte sich in der Schleife verfangen, die den Blusenkragen bildete, und ein dazu passendes Armkettchen. Der Schmuck war zwar aus Gold, wirkte jedoch nicht sonderlich teuer. Es hatte schon Vorteile, im Einbruchsdezernat gearbeitet zu haben; man kannte sich wenigstens aus. Sie krempelte die Ärmel ihrer Bluse hoch. Er hatte keine Ahnung, warum. Jetzt sah er, daß sie am rechten Armgelenk eine einfache, schwarze Uhr trug, eine Art Digitaluhr, die aussah, als habe jemand eine Herrenuhr genommen und sie so verkleinert, daß sie ihr paßte.
»Dürfen wir jetzt miteinander reden?« fragte
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