Das zarte Gift des Morgens
anwesenden Männer verblüfft. Sie war nämlich in Uniform erschienen. Kolossow hatte sogleich den Verdacht, dass sie das ausschließlich wegen Simonow getan hatte. Die Milizuniform stand ihr gut.
»Bitte entschuldigen Sie, ich bin bei einer Besprechung im Ministerium aufgehalten worden«, flunkerte Katja dreist, ohne zu erröten.
Lessopowalow starrte Katja so neugierig an, als sähe er sie zum ersten Mal im Leben. Auch Simonow musterte Katja von Kopf bis Fuß und bemerkte dann nachlässig: »Sehe ich das richtig, Herrschaften, Sie alle wollen mich verhören? Drei gegen einen? Können Sie mich nicht unter Ihre Fittiche nehmen?«, wandte er sich an Katja. »Die beiden hier wollen mir weismachen, mein Wagen wäre geklaut.«
»Niemand behauptet, Ihr Wagen sei gestohlen«, widersprach Kolossow. »Es gibt nur einige Ungereimtheiten in Ihren Papieren. Und das Kennzeichen Ihres Wagens ist in unserer Datenbank der gesuchten Autos gespeichert.«
»Unmöglich«, sagte Simonow.
»Alles wird genau überprüft werden – Ihre Vollmacht, der Fahrzeugbrief, seien Sie beruhigt«, versicherte Kolossow. »Und während das erledigt wird, hätten wir unsererseits an Sie, Serafim Nikolajewitsch, noch einige Fragen.«
»Wen meint er mit ›unsererseits‹?«, fragte Simonow Katja.
»Die Kripo«, antwortete sie – und beobachtete dabei verstohlen seine Reaktion. Simonow blieb ganz ruhig, als sei ihm vollkommen egal, wo er sich befand und wonach man ihn fragen würde. Katja hätte zu gern gewusst, ob ihm tatsächlich alles gleichgültig war oder ob das nur eine Pose, eine Maske war.
»Mit der Kriminalpolizei hatte ich noch nie die Ehre«, sagte Simonow und musterte mit mattem Interesse das enge, schwüle Büro mit den vergitterten Fenstern. »Dieser Kelch ist bisher an mir vorübergegangen.«
»Hatten Sie denn schon mit ähnlichen Institutionen zu tun?«, fragte Lessopowalow, der bis jetzt geschwiegen hatte, plötzlich. »Sicherheitsbehörden zum Beispiel?«
Simonow wandte ihm seinen ruhigen, trägen Blick zu: Wovon redest du, mein Bester?
»Wir haben uns nämlich mal mit Ihrer Biographie vertraut gemacht.«
Katja warf Kolossow einen Blick zu: Was meinte Lessopowalow mit diesen drohend und vielsagend klingenden Worten? Was hatten sie über Simonow herausgefunden?
»Sie sind doch von Beruf Schauspieler, Serafim Nikolajewitsch?«, fragte Nikita. »An welchem Theater waren Sie vor Ihrem Umzug nach Moskau engagiert?«
»Am Dramatischen Theater Rostow. Und davor war ich zwei Spielzeiten in Simferopol.«
»Aber das ist nicht Ihr eigentlicher Beruf, nicht wahr?«
Simonow blickte Katja an und lächelte ihr zu. Katja merkte, wie ihr eine verräterische Röte ins Gesicht stieg. Der harte Kragen der Uniformbluse würgte sie wie eine Schlinge.
»Sie haben doch Anfang der neunziger Jahre an Kampfhandlungen in Abchasien teilgenommen, nicht wahr?«, fragte Lessopowalow. »Und Sie wurden im Verlauf dieser Kämpfe verwundet?«
»Offenbar haben Sie ja schon ein ganzes Dossier über mich zusammengetragen. Wieso fragen Sie mich überhaupt noch?«, sagte Simonow spöttisch.
»Für wen haben Sie dort gekämpft?«, fragte Katja mit ehrlichem Interesse. »Auf wessen Seite?«
»1992 kamen Sie dann nach Tiraspol ins Dnjestr-Gebiet, nicht wahr?«, ließ Lessopowalow nicht locker. »Und dort haben Sie sehr viel deutlicher gezeigt, wo Ihre Sympathien lagen, als im Kaukasus.«
»Ich verstehe nicht, wovon Sie reden«, sagte Simonow.
»Davon, dass über Sie verschiedene Gerüchte im Umlauf sind. Zum Beispiel habe ich aus einer sehr zuverlässigen Quelle gehört, dass Sie in Abchasien Anfang der Neunziger zunächst auf der Seite Suchumis gegen Gamsachurdia gekämpft haben. Dann waren Sie offenbar von der nationalen Freiheitsidee der Abchasier enttäuscht, mehr als enttäuscht sogar. Es fand, so hat man mir berichtet, ein Kampf in einer Bergschlucht statt, bei dem eine abchasische Sturmeinheit in einen Hinterhalt geriet. Fast die gesamte Einheit wurde vernichtet, nur Sie, der stellvertretende Kommandant, blieben am Leben. Einige Zeit später wurden Sie erneut Kommandant einer Sturmeinheit von Gebirgsjägern, diesmal allerdings auf georgischer Seite. Dann fiel auch diese Einheit im ungleichen Kampf. Es wurde gemunkelt, dass jemand dem Feind, pardon, der abchasischen Nationalgarde, eine Karte der Wege durch das Minenfeld ausgehändigt habe. Die Einheit wurde vernichtet, Sie aber blieben auch diesmal unversehrt, fuhren danach sogar wieder nach
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