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Das zarte Gift des Morgens

Das zarte Gift des Morgens

Titel: Das zarte Gift des Morgens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanova
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und Saiko ausgewichen war, die er doch beide gut kannte. Nikita dachte daran, dass er sich zwar seinen Wunsch erfüllt hatte – in Pirogowskoje gewesen war und die Familie des Priesters mit eigenen Augen gesehen hatte, aber trotzdem nichts, absolut gar nichts verstanden hatte. Denn etwas nur flüchtig, von außen zu sehen bedeutete noch nicht zu verstehen. Eigentümlich, dachte er, die Beerdigung des ersten Mordopfers ist ganz unbeachtet vorbeigegangen. Vermutlich lag es daran, dass Studnjow am Donnerstag beerdigt worden war, nur einen Tag nach dem Mord an Jelena, als alle bis über die Ohren beschäftigt waren.
    Es gab allerdings einen Videofilm, den die Miliz auf dem Friedhof gedreht hatte. Kolossow hatte ihn sich flüchtig angesehen und mit Erstaunen festgestellt, dass unter den Leuten, die zu Studnjows Beerdigung gekommen waren, keiner von denen war, die mit ihm zusammen am selben Tisch im »Al-Maghrib« gesessen hatten. Nicht einmal Aurora . . .
    Katja redete immer noch von Simonow.
    »Er könnte gut als Legionär in einer Fernsehserie auftreten, in Tarnuniform und mit einer Kalaschnikow auf einem Panzer sitzend würde er sich prima machen. Findest du nicht auch, Nikita, dass er Ähnlichkeit mit dem jungen Schwarzenegger in ›Running Man‹ hat? Der gleiche etwas grobe Charme . . . Und der jüngere Bruder von Jelena, Juri, sieht auch nicht übel aus. Allerdings noch ein richtiger Junge. Er hat Geodäsie studiert, sagst du?«
    »Ja«, antwortete Kolossow mechanisch, »am Institut für Geodäsie und Kartographie.«
    »Sergej Meschtscherski hat einen Freund, der auch dort studiert hat. Und dann musste der Ärmste dauernd nach Jakutien fliegen, zu irgendwelchen Forschungen.«
    »Fliegen?« Nikita hing noch seinen eigenen Gedanken nach. »Wieso fliegen?«
    »Na, auf Expedition. Es gibt noch ein drittes Wort im Namen dieses Instituts: Geodäsie, Kartographie und noch irgendwas, ich hab’s vergessen«, schwatzte Katja munter weiter. Seit sie den Friedhof wieder verlassen hatten, war sie regelrecht aufgelebt. »Und diese dritte Fakultät, deren Namen ich vergessen habe, hat Sergejs Freund besucht.«
    »Sergej hat wirklich überall Freunde«, meinte Kolossow . . . und plötzlich zuckte in seinem Hirn wie ein Blitz ein Gedanke auf, er begriff selbst nicht, was es war, ein Bild, ein Wort, eine Erinnerung. Er vergaß es fast augenblicklich, und erst viel später, als er Katja schon nach Hause gebracht und sich von ihr verabschiedet hatte, fiel es ihm wieder ein: Es war der volle Name des Instituts, das Jelenas Bruder Juri absolviert hatte – Institut für Geodäsie, Luftbildfotografie und Kartographie. Und die »Luftbildfotografie« veranlasste Kolossow, sofort in Stolby bei Lessopowalow anzurufen. Dann, nach einigem Nachdenken und Zögern, suchte er aus seinem Verzeichnis der Handynummern Auroras Telefonnummer heraus.

19
    Natürlich hatte Kolossow seinen Kollegen Lessopowalow über Auroras Kommen informiert, das verlangte die Etikette. Doch leider sollte der Milizchef von Stolby auch diesmal nicht die Bekanntschaft der Sängerin machen, so sehr er auch darauf brannte. Seit Montagmorgen war Lessopowalow ununterbrochen unterwegs und suchte in Kolossows Auftrag allerlei seriöse und solide Institutionen auf, darunter auch die, die ihre Büros an der Lubjanka5 hat. Nikita wartete begierig auf Informationen, die die Ermittlungen voranbringen und etwas mehr Licht auf die Ereignisse werfen würden.
    Er selbst hatte die seiner Meinung nach schwierigere Aufgabe übernommen – das Gespräch mit Aurora, der Geliebten des ermordeten Studnjow und Ex-Ehefrau des ebenso verdächtigen wie ungreifbaren Gussarow. Über Studnjow, der ihm und Lessopowalow in einer so schönen Sommernacht ganz unpassenderweise fast auf den Kopf gefallen war, machte er sich viele Gedanken. Der zähe, undurchsichtige Brei aus intimen Beziehungen, Leidenschaften, Eifersüchteleien, der Studnjow sowohl zu Lebzeiten wie auch nach seinem Tod umgab, bereitete ihm besonderen Verdruss. Lauter verworrene Liebesdramen rankten sich um den Toten.
    Sascha Maslowa hatte fast auf der Stelle zugegeben, dass sie in Studnjow verliebt gewesen war. Anfissa Berg war ihm gegenüber, wenn man Katjas geheimnisvollen Andeutungen glauben durfte, ebenfalls nicht gleichgültig gewesen. Und schließlich war der Koch des »Al-Maghrib«, Poljakow (vorausgesetzt, er war mit dem Iwan Grigorjewitsch, von dem Sascha gesprochen hatte, identisch) höllisch eifersüchtig auf seinen

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