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Das zarte Gift des Morgens

Das zarte Gift des Morgens

Titel: Das zarte Gift des Morgens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanova
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Maria. »Ich war einfach völlig außer mir, bin auf alle losgegangen. Aber heute hatte ich ein Gespräch mit Poljakow. Du weißt ja, er kann einen besser beruhigen als alle Baldriantropfen. Ich rufe dich aus folgendem Grund an: Bei mir hat sich Sitschkin gemeldet, Mark Naumytsch Sitschkin, den kennst du doch auch . . . Nicht? Du kennst ihn nicht? Habe ich dir denn nicht von ihm erzählt? Er ist Immobilienmakler, ein sehr bekannter . . . Er hat eine interessante Wohnung im Angebot. Du suchst doch nach etwas im Zentrum? Ja, also, er hat mich angerufen und gesagt, es sei eine sehr ansprechende Wohnung, und die Besitzer verlangen auch keinen allzu hohen Preis. Sie müssen möglichst schnell verkaufen, weil sie nach Kanada auswandern, das heißt, man kann sie vielleicht sogar noch weiter herunterhandeln. Wir könnten morgen zu Sitschkin fahren – er ist auf seiner Datscha in Malachowka und erholt sich von der Hitze. Dort würden wir alles besprechen und anschließend irgendwohin zum Mittagessen fahren.«
    »Danke, Mariascha«, sagte Aurora, »das ist lieb, aber ich kann nicht mit, entschuldige. Kirjuscha ist sehr krank. Er hat Angina.«
    »Aber Sitschkin ist ein gewiefter Geschäftsmann. Verstehst du, der wartet nicht. . .«
    »Ich verstehe, aber trotzdem, ich kann mich jetzt nicht um eine Wohnung kümmern.« Aurora erkannte sich selbst nicht wieder. Früher hätte sie ein solches Angebot niemals abgelehnt. Maria hatte sie immer gut beraten. »Ich habe einfach nicht die Kraft, eine solche Entscheidung zu treffen. Kirjuscha hat hohes Fieber . . .«
    »Habt ihr schon einen Arzt geholt?« Maria begriff, ihre Stimme wurde sofort sanfter. »Du musst ihn unbedingt auch auf Lungenentzündung untersuchen lassen. Also gut, dann werde ich Sitschkin überreden, noch ein wenig zu warten und seine Klienten hinzuhalten. So viel zum Geschäftlichen, aber ich wollte dich sowieso gern mal Wiedersehen, Kindchen.«
    »Ich würde dich auch gern sehen, Mariascha. Komm doch zu mir, sobald es Kirjuscha besser geht.«
    »Einverstanden, dann sehen wir weiter. Ja . . . Brauchst du noch irgendwelche Medikamente?«
    »Nein, ich habe alles besorgt, danke«, antwortete Aurora und schluchzte plötzlich unerwartet auf.
    »Nicht doch, nicht doch, nicht weinen. Es kommt schon alles wieder in Ordnung. Meine Jungen waren auch oft krank, richtige Kümmerlinge waren das. Und guck sie dir jetzt an, wie sie sich herausgemacht haben.« Marias Tonfall war halb grob, halb liebevoll. »Das ist unser aller Los, Kindchen. Da kann man nichts machen.«
    Dieses Gespräch munterte Aurora ein wenig auf. Und obwohl sie nicht mit zur Wohnungsbesichtigung fahren wollte, war sie Maria doch sehr dankbar für ihre Fürsorge. Selbst in den schwersten Augenblicken ihres Lebens blieb Maria sich selbst treu: Sie dachte immer zuerst an die anderen. Aurora nahm sich vor, sofort anzurufen, wenn Kirjuscha wieder gesund war, sie einzuladen und mit ihrer Mutter bekannt zu machen.
    Wieder klingelte das Telefon, und nun nahm Aurora den Hörer ab, ohne zu zögern. Wer immer das sein mochte – sie hatte keine Angst mehr.
    »Hallo, sind Sie es, Aurora? Wir möchten Frau Aurora Wetlugina sprechen!«, zirpte ein munteres Stimmchen in den Hörer.
    »Ja, ich bin am Apparat, guten Abend.«
    »Hier ist die Redaktion des ›Moskauer Stadtgesprächs‹, Abteilung Society-Nachrichten. Können Sie uns einen Kom-mentar zu den Umständen von Maxim Studnjows Tod geben? Wenn wir richtig informiert sind, war er mit Ihnen liiert. Hat dieser Mordfall etwas mit Ihrer Scheidung von Dmitri Gussarow zu tun?«
    »Woher haben Sie diese Informationen?«, fragte Aurora. »Und wer sind Sie überhaupt? Mit wem spreche ich?«
    »Angelina Ljaguschkina, Korrespondentin des »Moskauer Stadtgesprächs«. Waren Sie beim Begräbnis Ihres Freundes?«
    »Nein! Ich weiß überhaupt nicht, von welchem Freund Sie reden! Belästigen Sie mich nicht weiter, hören Sie? Ich weiß von nichts und habe nicht die geringste Lust, auf Ihre idiotischen Fragen zu antworten!«
    Aurora warf das Telefon aufs Sofa. Ihr Herz hämmerte wie verrückt. Woher wussten die das alles? Diese Bluthunde . . . Aber trotzdem – so durfte sie eigentlich auch nicht reagieren, was nahm sie sich heraus? Mit den Presseleuten kann man so nicht umspringen, das verzeihen sie dir nicht. Sie machen dich fertig!
    »Mama, komm, ich hab Angst!«, erklang aus dem anderen Zimmer die Stimme ihres Sohnes.
    Aurora ging zu ihm hinüber. Kirjuscha saß auf dem Bett. Um

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