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Das zarte Gift des Morgens

Das zarte Gift des Morgens

Titel: Das zarte Gift des Morgens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanova
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Nebenbuhler. Und diese ganze trübe Brühe, die wie Kehricht nach einer Überschwemmung hochgespült worden war, machte Kolossow nervös und brachte ihn um sein seelisches Gleichgewicht.
    Wenn man es genau betrachtete, ging es hier ja eigentlich gar nicht um echte Liebe, sondern nur um Illusionen, Fantastereien, Hirngespinste. Und Hirngespinste in Mordfällen -das konnte Kolossow überhaupt nicht leiden. So lange er zurückdenken konnte, hatten solche Hirngespinste niemals einen Nutzen gebracht – keine Indizien, keine Fakten, keine Beweise, die man in einem Prozess verwenden konnte, nur Tränen, Lügenmärchen, Gefühlsausbrüche und den einen oder anderen missglückten Selbstmordversuch.
    Während er auf die Sängerin wartete, wappnete er sich innerlich, denn er rechnete damit, dass sich gleich wieder dieses ganze Liebesgeschwafel wie ein Eimer kaltes Wasser über ihn ergießen würde – immerhin hatte Aurora mit Studnjow ein Verhältnis gehabt.
    Doch es kam ganz anders. Aurora traf in Stolby in einem alten, aber noch sehr ansehnlichen Privattaxi ein, das genauso geduldig auf sie wartete wie ein für den ganzen Tag angeheuerter Mietwagen. Sie war allein, ohne ihr Gefolge.
    Sie trug wieder ihre ausgewaschenen Jeans und ein T-Shirt, aber diesmal ein ganz unauffälliges, kein Strass, keine Fransen, keine aufgestickten Blüten. Armbänder, Ringe, Broschen, Medaillons und Ketten hatte sie ebenfalls zu Hause gelassen. Ein ganz normales sportliches Outfit, dazu flache, leichte Pantoletten, ein Rucksack aus Jeansstoff und an dem sonnengebräunten zarten Handgelenk eine schlichte, allerdings vermutlich schweinisch teure Uhr von »Omega«.
    In dieser Aufmachung kam sie Kolossow viel jünger, frischer und attraktiver vor als bei ihrer ersten Begegnung. Man mochte kaum glauben, was sie schon alles hinter sich hatte – Hitparadenerfolge (die allerdings schon einige Jahre zurücklagen), Konzerttourneen durchs ganze Land, zwei Kinder, eine zerbrochene Ehe und ein toter Liebhaber, den man mit Thalliumsulfat vergiftet hatte.
    »Gut, dass Sie mich in dieses Provinzkaff bestellt haben«, erklärte Aurora unverblümt, nachdem die ersten förmlichen Grußworte gewechselt und die einleitenden protokollarischen Fragen gestellt worden waren, und nahm damit Kolossow endgültig für sich ein. »Beim letzten Mal, im Büro Ihres Chefs, habe ich mich nämlich ganz entsetzlich gefühlt. Als hätte mich der Flughafenzoll mit einem Marihuanajoint in der Tasche erwischt. Ich wollte alles erklären, aber . . .«
    »Was wollten Sie erklären?« Für den Anfang schlug Nikita einen nüchternen und offiziellen Ton an.
    »Nun, vor allem wollte ich Ihnen erklären, dass ich nicht die Witwe von Max bin, verstehen Sie? Nicht seine Frau, nicht seine Witwe, und deshalb braucht man mir auch keine albernen Fragen über ihn zu stellen, weil ich sowieso nicht weiß, wie und was ich darauf antworten soll.«
    »Bitte, ärgern Sie sich darüber nicht.« Nikita fand, nun sei es an der Zeit, eine freundlichere Miene zu machen. »Wir waren alle ziemlich aufgeregt. Sie, weil ein Ihnen nahe stehender Mensch ums Leben gekommen ist. Wir, weil Sie uns einen Besuch abgestattet haben. Als Sie wieder weg waren, haben mich die Jungs aus meiner Abteilung regelrecht auseinander genommen – warum hast du dir kein Autogramm geben lassen? Und wirklich, warum habe ich das nicht getan?«
    Weil ich schon lange keine Autogramme mehr gebe«, sagte Aurora. »Aber Sie haben sicher keine Zeit, hier mit mir zu schwatzen, fragen Sie, was Sie interessiert.«
    »Was mich interessiert? Vieles . . . Man hat in Ihrem Stammlokal noch einen weiteren Menschen ins Jenseits befördert – die Kellnerin Jelena Worobjowa, eben die, die an jenem Freitagabend Ihren Tisch bedient hat. Haben Sie davon gehört?«
    »Ja. Maria Potechina hat mich angerufen und mir alles berichtet.« Aurora sprach jetzt sehr leise.
    »Wir haben festgestellt, dass beide Male das gleiche Gift verwendet wurde. Diese Morde hängen also zusammen.«
    »Dasselbe hat mir Maria Potechina erzählt. Sie glaubt das auch.«
    »Und was meinen Sie selbst?«
    »Ich weiß nicht. Max ist ermordet worden, und jetzt dieses Mädchen . . . Es ist entsetzlich. Aber ich weiß nicht, was ich damit zu tun haben soll, was wir alle damit zu tun haben?«
    »Sie waren nicht bei der Beerdigung von Studnjow. Warum nicht?«, fragte Kolossow.
    »Mein Kind war krank.«
    »Nur aus diesem Grund?«
    »Ich konnte einfach nicht und wollte auch nicht. Ich hatte

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