Das Zauberer Handbuch
der ist im Autorenberuf falsch, denn hier dreht sich letztlich alles darum, Eindrücke verschiedenster Art aufzunehmen, sie zu verarbeiten und in einem kreativen Schaffensprozess zu etwas Neuem zu machen.
Sicher wäre es auch zu kurz gesprungen, wollte man den Input auf die Phantastik allein begrenzen. Zu glauben, dass einen die Lektüre der hundert größten Werke der Fantasy dazu befähigt, selbst ein Meisterwerk abzuliefern, ist sicher ein Trugschluss. Ein guter Fantasy-Autor zu sein, bedeutet nicht nur, sich im Genre ein wenig auszukennen, sondern auch in der Lage zu sein, über den Tellerrand hinauszublicken, in andere Genres, andere Medien und, nicht zuletzt, auch ins wirkliche Leben, das oft die spannendsten Vorlagen liefert. Dabei kann es sich sowohl um die vergangene Wirklichkeit handeln als auch um die Gegenwart, der Blick in das eine oder andere Geschichtsbuch ist meines Erachtens daher ebenso unerlässlich wie jener in die Tageszeitung. Fantasy kann und darf ruhig auch politisch sein und auf metaphorische Weise aktuelle Geschehnisse aufgreifen, und natürlich wird sie zumeist auch individuelle Erfahrungen, Erlebnisse, Begegnungen des Autors verarbeiten. In vielen Fällen wird das jedoch nicht genügen.
Auch wenn ein Roman zu einer anderen Zeit und in einer anderen Welt spielt, womöglich in einem Kosmos, in dem noch nicht einmal Menschen existieren, so wird es dennoch um menschliche Grunderfahrungen gehen, die der Autor nicht immer aus seinem eigenen Erfahrungsschatz beschreiben kann. Umso wichtiger ist es, seinen Mitmenschen mit offenen Augen und Ohren zu begegnen und ein aufmerksamer Zuhörer zu werden, denn nur so lässt sich jener Grad an Glaubwürdigkeit erreichen, die unseren Figuren innewohnen sollte. Oft sind es gerade die kleinen, alltäglichen Geschichten, die die Vorlage für große Stoffe liefern oder zumindest helfen, sie glaubwürdig zu gestalten. Als Granock z.B. in DIE ZAUBERER nach Shakara kommt, um seine Ausbildung zu beginnen, fühlt er sich dort zurückgesetzt und ausgestoßen. Er ist der »Neue« – das neu zugezogene Kind, mit dem niemand spielen will, der neue Schüler in der Klasse, der misstrauisch beäugt wird, der neue Kollege am Arbeitsplatz. Jeder von uns hat dieses Gefühl wahrscheinlich schon in der einen oder anderen Situation gehabt, weswegen es einfach ist, sich hier mit Granock zu identifizieren. Oder nehmen wir die Wirtshausszenen in Teil III der Saga, die einem tatsächlichen Lokal nachempfunden waren, in dem ich im Zuge einer Lesereise einmal zu Gast gewesen bin. Und der Zwerg Kibli, der in DER SCHWUR DER ORKS auftaucht, war ein augenzwinkernder Verweis an einen (inzwischen im Ruhestand befindlichen) Verlagsmitarbeiter aus der Schweiz. Was auch immer wir (be-)schreiben – es wirkt um vieles glaubwürdiger, wenn seine Wurzeln in unserer realen Welt liegen.
Auch Reisen können helfen, den Horizont zu erweitern – viele Autoren, die ich kenne, unternehmen ausgiebige Reisen, nicht nur aus Erholungsgründen, sondern auch, um neue Eindrücke zu gewinnen und aus diesen wiederum Inspiration zu schöpfen. Reiseziele wie Irland, Schottland oder die Bretagne mit ihren großartigen, fast mystischen Landschaften sind natürlich besonders beliebt, aber auch Südostasien ist mit grünen Dschungeln und versunkenen Tempeln ein gern gewähltes Reiseziel. Wichtig ist gar nicht so sehr, wohin die Reise geht, sondern in welcher Haltung man reist und wie offen man dem, was es dort zu sehen und zu erleben gibt, gegenübertritt. Mit der richtigen Einstellung kann ein Abendessen beim Inder um die Ecke ebenso inspirierend sein wie ein Gang über einen orientalischen Basar. Ein Besuch im Museum kann helfen, gedanklich in eine andere Ära zu finden, eine alte Burgruine oder ein dunkler Wald erzählen von Zeiten, die längst vergangen sind. Es kommt darauf an, ein waches Gespür für all die kleinen Dinge zu entwickeln, die flüchtigen Eindrücke, die Geräusche und Gerüche, an denen wir sonst oft achtlos vorbeigehen. Überall dort kann sich Inspiration verbergen – und davon können Autoren bekanntlich nie genug haben.
Persönlich habe ich die USA zum »Fluchtort« meiner Wahl gemacht, wohin ich mich gerne zurückziehe, um den Kopf freizubekommen und neue kreative Kraft zu tanken. Doch wie gesagt ist es gar nicht so erheblich, wo man weilt, es kommt vor allem darauf an, dass man dem, was einen umgibt, mit offenen Sinnen begegnet. Achtet nicht nur auf das Offensichtliche. In einem
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