Das Zauberer Handbuch
weigert, dem geschwächten Helden eine Mahlzeit zu bereiten; um einen Torwächter, der ihm den Einlass zu einer Burg verwehrt; oder um eine eigenwillige Elfenprinzessin, die sich beharrlich weigert, gerettet zu werden. Aber natürlich kann es beim Zusammentreffen mit dem Gegner auch um Leib und Leben gehen.
Das Rollenspiel kennt solche Gegner zur Genüge – gerade in den Anfangstagen der Pen-and-Paper -Abenteuer ging es für die Spieler meist darum, auf der Suche nach einem Schatz oder Artefakt unterirdische Verliese und Labyrinthe zu erforschen (daher der Name Dungeons and Dragons ) und sich dabei mit immer neuen und gewöhnlich auch immer stärker werdenden Gegnern auseinanderzusetzen: Gnome und Orks, Oger und Trolle, Tiermenschen und Troglodyten – sie alle konnten in den dunklen Stollen lauern und den Helden bzw. Spielern das (Über-)Leben schwer machen. Als Bewacher des Schatzes mussten all diese Kreaturen irgendwie überwunden werden, wobei die direkte Konfrontation, der offene Kampf, nur eine von mehreren Optionen war – und daran sollte man auch als Autor denken.
Genau wie dem Spieler bieten sich auch dem Helden verschiedene Möglichkeiten, wie er Gegner überwinden kann. Flucht stellt eine mögliche Option dar, vielleicht verbunden mit der Notwendigkeit eines Umwegs, der dann weitere Gefahren birgt, denken wir nur an den Weg durch die dunklen Minen von Moria, den DIE GEFÄHRTEN nehmen müssen. Ein Held, der zugleich auch Eigenschaften eines Tricksers besitzt, wird hingegen vielleicht versuchen, den Gegner auf humorvolle Weise zu überlisten, so wie es Bilbo in DER HOBBIT mit den drei Trollen tut. Man kann aber auch versuchen, einen Gegner als Verbündeten zu gewinnen und ihn damit zum Helfer zu machen: Als Croy und Kieron in SPLITTERWELTEN der entlaufenen Sklavin Shen zum ersten Mal begegnen, ist sie fraglos ein Gegner – später wird sie unverhofft zur Helferin. Ein Fantasy-Held vom Schlage Conans des Barbaren hingegen wird es sich kaum nehmen lassen, sein Schwert zu ziehen und den Gegner, wer immer er auch sei, zu Klump zu hauen – wie Helden auf die sich ihnen in den Weg stellenden Hindernisse reagieren, hängt letztlich sehr von ihrem Wesen ab, was zugleich auch die dramaturgische Funktion ihrer Gegner zeigt: Indem sie die Entschlossenheit unserer Helden ein um das andere Mal auf die Probe stellen, offenbaren sie Stück für Stück von ihrem Charakter.
Was die Motivation des Gegners betrifft, so kann diese ganz unterschiedlicher Natur sein. Viele Gegner werden auf eigene Rechnung handeln und (jedenfalls aus Sicht des Helden) einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort sein – entlaufene Verbrecher, Piraten auf Beutezug, Gnomen auf dem Kriegspfad, marodierend umherziehende Orks. Es gibt allerdings auch den Typus des Handlangers, der nicht von sich aus agiert, sondern im Auftrag einer übergeordneten Macht, nämlich des »Feindes«, mit dem wir uns als Nächstes befassen wollen.
Der Feind
Obwohl natürlich auch der Feind ein Gegner des Helden ist, scheint es mir wichtig, an dieser Stelle zu unterscheiden – etwa so, wie man im Computerspiel zwischen Levelgegnern und dem großen, übergeordneten Endgegner differenziert.
Der Feind ist mehr als nur jemand, der sich dem Helden in den Weg stellt. Er ist die Verkörperung des Bösen, des Chaos, gegen das der Held traditionell angeht. Der Feind ist das zerstörerische Prinzip und damit das genaue Gegenteil des Helden, der das Streben nach Ordnung verkörpert, nach Wiederherstellung des Gleichgewichts, das durch das Wirken böser Mächte gestört wurde. Anders als die Gegner des Helden, die in konkreter Form auftauchen, kann der Feind durchaus auch etwas Abstraktes sein wie das »Nichts« in Michael Endes DIE UNENDLICHE GESCHICHTE, oder verschiedene Gestalten annehmen wie Sauron in DER HERR DER RINGE. Als meine ZAUBERER dem Dunkelelfen Margok zum ersten Mal begegnen, ist dieser noch nicht einmal körperlich präsent, dennoch ist er es, der im Verborgenen wirkt und die Fäden zieht.
Die überwältigende Mehrheit jener Feinde, mit denen die Helden der Fantasy konfrontiert werden, sind jedoch durchaus physischer Natur, und es gibt sie in vielerlei Gestalt: Ob Mensch oder Drache, Zauberer oder Vampir, sie alle haben das Zeug zum Bösewicht, wie in unzähligen Fantasy-Romanen und -Filmen vorexerziert wird. Wie eindimensional oder plastisch man den Feind des Helden gestaltet, hängt dabei von der Art von Geschichte ab, die man erzählen will –
Weitere Kostenlose Bücher