Das Zauberer Handbuch
Handlungslöcher so frühzeitig entdeckt und sehr viel leichter ausgemerzt werden; andererseits kann zu frühe Kritik den Autor auch verunsichern und dafür sorgen, dass das ganze Projekt plötzlich auf wackeligen Beinen steht.
Welche Methode man auch bevorzugt – die Auswahl des Erstlesers ist dabei von zentraler Bedeutung. Es muss jemand sein, dem man a) unbedingt vertraut, der b) unvoreingenommen an einen Stoff herangehen kann und der c) in der Lage ist, Kritik so zu äußern, dass sie nicht entmutigt, sondern zur Verbesserung des Werks beiträgt. Kenntnisse im Genre sind, sofern es sich nicht um ein sehr spezielles Thema handelt, eigentlich nur von untergeordneter Bedeutung, schließlich soll der Roman ja auch auf dem allgemeinen Markt angeboten werden und möglichst viele Leser erreichen.
Ich gebe zu, dass es nicht einfach ist, eine solche Person zu finden, deren Hilfe wirklich von unschätzbarem Wert sein kann. Familienmitglieder eignen sich aufgrund ihrer Vertrauenswürdigkeit, allerdings haben sie oft ein Problem, ehrliche Kritik zu üben. Folglich sind als Erstleser oftmals gute Freunde im Einsatz, vor allem auch solche, die ihr Geld mit anderen Dingen verdienen als Schreiben und daher unvoreingenommener sind. Sofern sie nicht schon zu viel über die Geschichte wissen, werden sie den Roman unter völlig anderen Gesichtspunkten lesen, als wir ihn geschrieben haben – Dinge wie die Schilderung von Charakteren und ihren Motivationen, die rechtzeitige Informationsvermittlung sowie die Wiederholung wichtiger Sachverhalte, die man während des Schreibens nur schwer beurteilen kann, kommen bei diesem »Erstlektorat« ganz besonders auf den Prüfstand. Und nur darum geht es im Grunde: Herauszufinden, ob die Geschichte nicht nur in der eigenen Vorstellung, sondern auch im Kopf von jemand anderem funktioniert. Um in dieser Hinsicht ganz sicherzugehen, haben manche Autoren auch zwei oder drei Erstleser am Start – von ihren mehrheitlichen Reaktionen wird dann abhängig gemacht, ob Passagen im Text geändert werden. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Fall, in dem sowohl mein Agent als auch meine bevorzugte Erstleserin (mit der ich zufällig auch verheiratet bin) der Ansicht waren, dass das Happy End, das ich den Figuren meines Romans zugedacht hatte, der Geschichte nicht angemessen wäre. Ich fand ihre Argumente sehr einleuchtend und habe mich dann dazu entschlossen, das Ende des Romans entsprechend umzuschreiben, was der Geschichte, davon bin ich überzeugt, nur zuträglich war.
Vor allem Neulingen reicht dies aber oft noch nicht, und sie suchen Hilfe bei Erstlesern, die sie nicht oder nur flüchtig kennen – ein Vorgehen, von dem ich nur abraten kann. Einen kompletten Roman in einem Internet-Forum zur Begutachtung freizugeben, ist wie schon erwähnt keine gute Strategie, zumal, wenn ihr das gute Stück nachher noch einer Agentur oder einem Verlag anbieten wollt. Zum einen setzt ihr euch damit einem völlig überflüssigen Spießrutenlauf aus, denn ihr könnt davon ausgehen, dass nicht alle Probeleser eurem Werk wohlgesinnt sein werden, und so wird es neben vielen gut gemeinten Worten auch destruktive Kritik geben, die gerade für Anfänger oft schwer zu verkraften ist. Zum anderen wird verständlicherweise kein Agent oder Lektor begeistert darüber sein, dass das zum Verkauf stehende Werk schon gratis im Netz zu lesen stand.
In einer Zeit, in der viele Menschen relativ unbedarft mit privaten Daten und sensiblen Informationen umgehen, ist die Verlockung, auf die Möglichkeiten des Internet zuzugreifen und sich auf diese Weise ein Publikum zu verschaffen, ziemlich groß. Ein Leserbrief, der mich erreicht hat, spricht in dieser Hinsicht Bände. Der Verfasser teilte mir mit, dass er einen Fantasy-Roman geschrieben habe, den er online gestellt hätte und der bei den Webbenutzern gut angekommen sei. Nun wollte er diesen Roman Verlagen anbieten und bat mich um Tipps, wie er den Verlagen gegenüber seine Urheberrechte schützen könne – wohlgemerkt die Urheberrechte an einem Roman, den er im Netz bereits veröffentlich hatte.
Eine Ausnahme bilden sicher einschlägige, seriös arbeitende Autorenforen wie das bereits erwähnte »Montségur«, wo Kollegen füreinander da sind und sich tatsächlich gegenseitig helfen wollen. Auch macht es natürlich einen Unterschied, ob man einen Roman oder eine Kurzgeschichte nachher noch anbieten will oder nur zu Übungszwecken geschrieben hat – in diesem Fall ist
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