Das Zauberer Handbuch
Nieren zu prüfen: Erzählt es eine spannende Geschichte? Sind die Charaktere glaubwürdig angelegt? Wird der Leser von der Thematik angesprochen?
Natürlich sind das auf den ersten Blick sehr subjektive Gesichtspunkte. Zu den Fähigkeiten eines guten Lektors oder einer guten Lektorin gehört es jedoch, durch die Brille des »Durchschnittslesers« zu sehen und aufgrund von Erfahrungswerten beurteilen zu können, was ankommt und was nicht. Das bedeutet freilich nicht, dass Lektoren unfehlbar wären – all jene, die das Manuskript des ersten HARRY POTTER-Romans auf ihrem Schreibtisch liegen hatten und es abgelehnt haben, haben sich später wohl in den – wie Balbok es ausdrücken würde – asar gebissen. Gemeinhin haben Lektoren aber ein ziemlich gutes Gespür für das, was bei der Leserschaft ankommt.
Wird der Roman angenommen, so folgt die Lektoratsarbeit – die Durchsicht des Manuskripts nach inhaltlichen Schwächen oder Logikfehlern, nach missverständlichen Passagen oder auch einfach nach grammatikalischen Fehlgriffen, die auch routinierten Autoren gelegentlich unterlaufen. Nun ist es aber nicht so, dass der Lektor das Werk einfach umgestalten könnte, wie es ihm in den Kram passt – das Urheberrecht an dem Manuskript liegt ja beim Autor, folglich werden Änderungen mit ihm abgestimmt. Überhaupt ist es – zumindest nach meinem Empfinden – nicht so, dass zwischen Autor und Lektor eine Gegnerschaft herrscht. Beide sind ja daran interessiert, ein möglichst gutes Buch auf den Markt zu bringen, und aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass nach vier- oder fünfmonatiger Arbeit an einem Manuskript auch ein Stück Betriebsblindheit herrscht. Mit anderen Worten, ich bin schlicht froh darüber, dass jemand von außen kommt, der sich den Text noch einmal ansieht und mit einem neutralen Auge daraufblickt – schon allein wegen der Stilblüten, die jeder von uns fabriziert und die sonst ungefiltert beim Leser landen würden. Die schönste Fehlleistung, die ich je erbracht habe (das war noch zu Heftroman-Zeiten) ist allerdings auch dem Auge des damaligen Lektors entgangen – und so schalteten die wackeren FBI-Beamten, die in schwärzester Nacht nach einem entflohenen Verbrecher suchten, ganz ungerührt den Schwein werfer an …
Wir sehen also, Lektoren sind auch nur Menschen, allerdings solche, die sich bemühen, das Beste aus unserem Roman herauszuholen. Insofern sollte man hier Mut zur Kritikfähigkeit beweisen, statt sich in Animositäten zu flüchten. Ich jedenfalls habe noch keinen Lektor erlebt, der aus schierer Niedertracht das Werk eines Autors verstümmelt, verändert oder sonst wie verunziert hätte, und die Zusammenarbeit habe ich stets als ein respektvolles Miteinander und nicht als eifersüchtiges Gegeneinander empfunden. Natürlich herrscht nicht immer traute Einigkeit, wenn es z.B. um die Streichung einer Passage geht, in die man als Autor viel Herzblut gelegt hat, die aber, bei objektiver Betrachtung, das Handlungsgeschehen nur verlangsamt. Beide Seiten sollten jedoch genug Professionalität aufbringen, um solche Streitfälle auch nach leidenschaftlichem Disput einvernehmlich zu lösen. Letztlich wollen ja beide dasselbe, nämlich ein Buch, das sich im Laden gut verkauft – andernfalls haben beide bald keine Arbeit mehr.
Der Vollständigkeit halber sei auch noch erwähnt, dass diese eigentliche »Lektoratsarbeit« in vielen Fällen gar nicht mehr von den im Verlag beschäftigten Lektoren gemacht wird – Outsourcing ist das Stichwort, das auch in der Verlagsbranche die Runde gemacht hat. Sehr häufig hat man es also mit (allerdings oft langjährigen) freien Mitarbeitern zu tun, was der Qualität der Arbeit aber keinen Abbruch tut. Der Grund dafür ist vielmehr darin zu suchen, dass die Verlagslektoren häufig mit anderen Aufgaben befasst sind, die zwar ebenfalls zu ihrem Berufsbild gehören, jedoch so zeitintensiv sind, dass für die eigentliche Textarbeit kaum noch etwas übrig bleibt. Das reicht von der Sichtung unverlangt eingesandter Manuskripte über Gespräche mit Autoren und Agenturen (von denen ich gleich noch ein wenig mehr erzählen werde) bis hin zur Planung kommender Programme, zur Festlegung von Titeln und Covern und, speziell auf die Fantasy bezogen, zum Besuch von Messen und Conventions in Europa und den USA. So sind die fest angestellten Verlagslektoren heute häufig zu Produktmanagern geworden, die Lektoratsarbeit im engeren Sinn wird oft außerhalb
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