Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
»Sie hat gesagt, dass wir noch nicht ertrinken. Habt Mut, wir müssen nur Mut haben.«
Gegen Abend ließ der Sturm nach und wir spürten, wie die See ruhiger wurde. Der Wind legte sich und der Kapitän rief durch unseren Vorhang: »Der Himmel klart auf und der Ausguck hat in der Ferne einen Vogelschwarm ausgemacht. Das bedeutet, dass wir auf Land zusteuern. Land! Gott ist groß!«
»Deo gratias« , anworteten wir automatisch und fielen, die Arme umeinandergelegt, in einen erschöpften Schlaf.
Als wir am nächsten Morgen an Deck stolperten, sahen wir am Horizont eine schmale Linie. Beim Näherkommen erkannten wir die Umrisse von Masten und schließlich den Hafen selbst. Um uns herum erledigten die Matrosen eilig ihre Arbeiten, sie lachten und schlugen sich gegenseitig auf den Rücken und redeten von Rum und Frauen. In langen schmalen Booten kamen Einheimische zu unserem Schiff gerudert und brachten uns seltsame gelbe Früchte, so süß wie Honig, und frisches Wasser, das noch süßer schmeckte. Wir sahen einander an: Blass und dünn blinzelten wir im Tageslicht, als seien wir Wesen aus der Unterwelt. »Wir müssen aussehen wie Meerhexen«, sagte Marisol und zupfte vergeblich an ihrem verschmutzten und zerknitterten Kittel herum. »Die waren schon im sauberen Zustand hässlich genug. So finden wir sicher keine Ehemänner!«
Meine Erleichterung darüber, dass wir nicht tot auf dem Meeresboden lagen, wich der Sorge um praktische Dinge. Was würden wir tun, sobald wir an Land waren? Ich kletterte in unsere Kabine und überschlug, was wir an Geldvorräten hatten. In Sor Emmanuelas Truhe lagen unsere Mitgift, vier Beutel mit reales , und eine Geldbörse mit Münzen für unsere alltäglichen Ausgaben. Ich zählte sie gerade nach, als die anderen mir zuriefen, ich solle kommen; die Laufplanke war fast schon heruntergelassen. Ich werde erst weiterschreiben können, wenn wir einen Ort gefunden haben, an dem wir für einige Zeit bleiben. Irgendwo.
KAPITEL 21
Über die Angelegenheit der Heiligen Schwestern Jesu und über die Angelegenheit einer Prüfung des Klosters Las Golondrinas zur Entdeckung von Ketzerei und Feinden des Wahren Glaubens in diesem Kloster
Unter dem Siegel des Heiligen Of fi ziums der Inquisition
Dies ist der Bericht einer Untersuchung des Klosters des Nonnenordens, der unter dem Namen Las Sors Santas de Jes ú s bekannt ist, durchgeführt im Sommer des Jahres 1552 A. D., veranlasst durch die Vorlage von Beweisen durch Graf Jaime Defendor del Santo Sepulchro der angab, das fragliche Kloster beherberge heimliche Juden und Muslime, und der behauptete, die Nonnen frönten ketzerischer Ideen, Lasterhaftigkeit und allerlei Werken, die dem Glauben abträglich sind.
Zum Beweis seiner Behauptungen legte er einige Pergamentfetzen vor, die stark beschädigt waren und viele Löcher aufwiesen. Ihre Spur führte unsere Beamten bis zu einer gewissen Dienstmagd des Klosters zurück. Bei ihrer Befragung durch die Inquisition im Laufe ihrer Untersuchung im Jahre 1552 gab das Mädchen zu, die Pergamentfetzen an den Diener des Grafen verkauft zu haben. Alles, was die Folterknechte herausfinden konnten, war, dass die Frauen aus der Familie der Magd seit vielen Jahren dem Kloster gedient hatten, dass ihre Großmutter die Fetzen an sich genommen hatte, als sie das Skriptorium nach einer Rattenplage gesäubert hatte. Weder das Mädchen noch sonst jemand in der Familie konnte lesen, doch das Mädchen beteuerte, die Fetzen stammten aus dem »Buch« des Klosters. Als sie erfuhr, dass ein Unbekannter für Informationen über das Kloster bezahlen würde, verkaufte sie die Fragmente. Das Mädchen starb während der Befragung, bevor man Weiteres in Erfahrung bringen konnte, wenn es überhaupt mehr zu erfahren gab. Die Fragmente ergeben wenig Sinn; sie berichten von Visionen und Missionen, von einer Zaubermedaille und Schwalben. Wenngleich das Skriptorium, die Nonnen und das ganze Kloster genauestens durchsucht und geprüft wurden, fanden wir weder weitere Beweise noch eine solche Medaille, wie sie angeblich existieren soll. Obwohl die Äbtissin und die Schreiberin in der Weise befragt wurden, wie sie von Fr. Ram ó n Jim é nez für das Erzielen von korrekten Informationen und das Aufdecken von Ketzerei empfohlen wird, kamen wir zu dem Schluss, dass sie nicht von ihrer allerheiligsten Schwur und Pflicht abwichen, unsere Fragen wahrheitsgemäß zubeantworten.
Es sind hier besondere Umstände am Werke, sodass wir geneigt sind
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