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Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)

Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)

Titel: Das Zeichen der Schwalbe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Bryan
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aufhören zu husten und klagte über Schmerzen in der Brust. Ein oder zwei Tage später bekam sie Fieber. Abwechselnd saß mal die eine, mal die andere von uns an ihrer Seite; wir versuchten, uns gegen das Schlingern des Schiffes zu stemmen, um sie aufrichten und ihr heißes Gesicht benetzen zu können, so gut es ging. Marisol gelang es, einige Arzneimittel auszupacken, doch sie halfen Sor Emmanuela nicht. Sie rang nach Luft und sagte, sie könne nicht atmen. Es ging ihr zusehends schlechter, sie konnte nicht mehr sprechen und dann tat die arme Sor Emmanuela schließlich den letzten qualvollen Atemzug und starb. Zitternd knieten wir nieder, klammerten uns aneinander, um nicht in unserem rollenden Verschlag herumgeschleudert zu werden, und übergaben Gott ihre Seele. Wir wanden ihr den Rosenkranz um die steif werdenden Finger und da wir kein Leichentuch hatten, wickelten wir den Körper in ihren Umhang. Ich konnte ihr noch die Medaille der Äbtissin abstreifen und legte sie mir selbst um den Hals, damit sie nicht verloren ging.
    Marisol kroch zu dem Vorhang, der unsere Schlafgelegenheiten vom Rest des Schiffes abteilt, und rief, dass es Gott gefallen habe, Sor Emmanuela zu sich zu nehmen. Zwei Matrosen, die sich gerade ein paar Augenblicke ausruhen durften, kämpften sich aus ihren Hängematten, stemmten sich gegen die Bewegung des Schiffes und packten den Körper und schwankten damit nach draußen. Wir wussten, dass sie Sor Emmanuela ins Meer warfen. »Wir werden ihr bald folgen!«, rief Marisol zitternd vor Kälte.
    Wir horchten angestrengt, ob wir den Aufprall hörten, mit dem der Körper auf dem Wasser aufschlug. Gerade in dem Augenblick, in dem es geschehen sein musste, heulte der Wind noch grauenvoller als zuvor und eine gewaltige Welle traf das Schiff so heftig an der Seite, dass es uns gegen die Wand schleuderte. Wir klammerten uns aneinander und spürten, wie das Schiff in immer furchterregendere Höhen getragen wurde, um gleich darauf mit einer Wucht nach unten zu krachen, die uns auseinanderriss und das Schiff unweigerlich in Stücke hauen musste. Sanchia schrie nach ihrer Mutter. Ich sah meinen Vater vor mir und P í a und Marisol verbargen das Gesicht an der Schulter der anderen. Über dem Wind hörten wir laute Stimmen an Deck, dann einen Knall und Schreie: »Mann über Bord!« Wir sprachen ein Gebet für den Matrosen und für uns selbst und Sanchia begann, auf Hebräisch immer wieder dieselben Worte aufzusagen. Wir sahen einander an und flüsterten »Lebt wohl«, während der Tod mit jedem Ächzen, jedem Knarren der geschundenen, schwächer werdenden Schiffsbalken näher kam.
    »Man sagt, Ertrinken geht schnell«, flüsterte P í a. Marisol wimmerte.
    Dann war da eine weitere Gestalt bei uns.
    »Könnt ihr sie sehen?«, keuchte Sanchia und zeigte mit dem Finger.
    Mit Mühe öffnete P í a die Augen. »Ja!«
    Marisol starrte, ausnahmsweise sprachlos, auf die Gestalt.
    Ich dachte erst, es sei eine Erscheinung aus dem Meer, wie die Kreaturen, die halb Frau, halb Fisch sind und Matrosen locken, sodass ihre Schiffe an den Felsen zerschellen. Doch es war eine Dame mit einem Umhang, genau wie sie in der Chronik beschrieben wird, und ich wusste – im Gegensatz zu den anderen –, wer es war. Die Gründerin war gekommen, um uns in der Stunde unseres Todes beizustehen, Worte des Trostes zu sprechen, bis ich meinen Vater und meine Mutter im Paradies wiedersah.
    Ich hatte mich geirrt. Die Gründerin sprach in schroffem Ton: In unserem gegenwärtigen Zustand würden wir den Fischen nicht viel Freude machen und nein, wir würden nicht ertrinken. Der Sturm werde sich bald legen; wir sollten auf Gott vertrauen und alles werde gut. Dann beugte sie sich über mich und sagte, dass die Medaille, die ich gerettet habe, etwas sehr Wertvolles sei, ihr Bruder habe sie ihr vor langer Zeit geschenkt. Ich versuchte, ihr zu antworten, dass ich das wisse, doch sie legte mir den Finger an die Lippen und sagte mit fester Stimme, ich solle Mut haben und dann würden die Medaille und die Chronik eines Tages dazu beitragen, Frieden in eine unfriedliche Zeit zu bringen, in der Christen, Juden und Muslime einander erneut bekämpfen würden. Kurz darauf war sie verschwunden.
    »Sie sagen, dass Ertrinkende seltsame Dinge sehen, kurz bevor sie sterben«, sagte P í a mit schwacher Stimme. Jetzt war nicht die Zeit zu erklären, was wir da gerade gesehen hatten. Stattdessen entgegnete ich mit so viel Überzeugung, wie ich aufbringen konnte:

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