Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
auf ihre Scheidung. Für Frauen, die hoffen, von ihren Männern geschieden zu werden, ist es eine Frage des Anstands, dass sie solange im Kloster wohnen, bis das Gericht über ihr Gesuch entscheidet. Diese Verfahren dauern zwar sehr lange, doch normalerweise wird den Gesuchen stattgegeben, und dann heiraten die Frauen einen anderen Mann, der ihnen besser gefällt als der erste. Es kommt vor, dass Männer, deren Frauen sich gerade scheiden lassen, Nachrichten schicken oder selbst ans Tor kommen und versuchen, ihre Frauen entweder durch barsche Befehle oder jammervolles Betteln dazu zu bewegen, nach Hause zurückzukehren. Meist haben sie damit keinen Erfolg.
Zuerst waren wir schockiert, doch inzwischen sind wir an das stete Kommen und Gehen übellauniger Ehefrauen gewöhnt, die oftmals von Kindern, Verwandten, Dienerinnen und Haustieren wie Vögeln oder Hunden begleitet werden. Die wohlhabenderen unter ihnen bringen Haushaltsgegenstände mit, mit denen sie sich ihren Aufenthalt im Kloster so behaglich wie möglich machen: Kerzenleuchter, goldene und silberne Teller, Federmatratzen und viele Kleider, Fächer und Schultertücher. Von Zeit zu Zeit werden wir alle Zeugen wütender Ausbrüche, wenn eine zukünftige Geschiedene Anspruch auf ihren Platz in der Hierarchie der Ehefrauen, Witwen, reumütigen Prostituierten und mittellosen Frauen erhebt, die den Innenhof belagern. Es ist eine Frauenwelt, die wir bisher noch nie gesehen haben, und wir finden sie ausgesprochen unterhaltsam.
Zarita ist sechzehn und ebenso schön wie P í a. Wenn sie die Köpfe zusammenstecken und flüstern und kichern, ist es, als sehe man zwei Blumen nebeneinander, eine helle und eine dunkle. Zarita wurde im Alter von neun Jahren von ihrem Vater verheiratet, der inzwischen gestorben ist. Ihr Bruder besteht auf einer Scheidung, weil er möchte, dass sie seinen Freund heiratet. Wenn man sie fragt, ob sie hofft, mit ihrem Gesuch Erfolg zu haben, zuckt sie die Schultern und seufzt. Zarita ist dem Freund ihres Bruders nicht mehr zugetan als ihrem ersten Ehemann und würde am liebsten im Kloster bleiben. P í a und sie finden Trost beieinander. Doch am Ende wird sie dem einen oder anderen Mann gehorchen müssen, also hofft sie, dass das Gericht sich nicht beeilt.
P í a ist die Tatsache, dass sie noch unverheiratet ist, vollkommen gleichgültig; sie ist zufrieden, wenn sie ihre Tage mit Zarita verbringen kann. Die Oberin meint, ich müsse als Erste heiraten, da ich die Älteste von uns dreien bin. Sie hat in meinem Namen einige Erkundigungen eingeholt, hat jedoch mehrere Möglichkeiten verworfen. Sie sagt, die grobe Art vieler Männer hier in den Kolonien würde mir nicht gefallen.
Würde ich ihnen gefallen?
Zarita hat einen Spiegel und in einem unbeobachteten Moment sah ich hinein. Ich habe dunkle Augen, eine lange Nase, lange Wimpern und dichte Brauen, die mir einen feierlichen Ausdruck verleihen. Ich probierte ein Lächeln. Meine Zähne sehen sehr weiß aus, wahrscheinlich, weil wir alle von der Sonne ein wenig gebräunt sind. Es fehlt kein einziger Zahn. Ich biss mir auf die Lippen, damit sie etwas Farbe annahmen, und kniff mir in die Wangen. Würde ein Mann ein solches Gesicht mögen? Ich bin nicht schön wie P í a, nicht einmal hübsch wie Sanchia; vielleicht sehe ich meiner Mutter ähnlich.
Ich sagte meinem Spiegelbild, dass ich wünschte, ich bräuchte nicht zu heiraten.
Im Innenhof war Unruhe entstanden und als ich den Spiegel weglegte, sah ich, dass eine gut gekleidete Frau der Grund dafür war. Sie trug einen Schleier, wie es bei verheirateten Frauen üblich ist, und hatte eine Nonne und zwei Novizinnen an ihrer Seite. Zwei Dienstmädchen folgten mit Kissen und einem Sonnenschirm und Schultertüchern. Offenbar war sie eine Dame von einigem Ansehen, sonst hätte sie nicht so viele Leute um sich gehabt, die ihr zu Diensten waren. Die Dienstmädchen schüttelten die Kissen auf und legten sie auf eine Bank, ein Hocker für ihre Füße wurde herbeigeschafft und eine Dienerin kam mit Hibiskuswasser herbeigeeilt. Als sich die Dame niedergelassen hatte, löste sich ein ordentlich gekleidetes Dienstmädchen, eine Mestizin, von der Gruppe und kam quer über den Innenhof auf uns zu. Sie knickste und fragte nach unseren Namen. Als ich sie ihr nannte, lächelte sie ein wenig und meinte: »Wie meine Herrin sagte … Bitte kommt mit mir.«
P í a, Sanchia und ich tauschten erstaunte Blicke, legten aber unsere Näharbeiten beiseite, strichen unsere
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