Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
überschlug sich fast vor Wut.
»Sprichst du von Salomé?«, fragte einer der Neuankömmlinge vorsichtig.
»Wer sonst würde solchen Ärger machen, du Idiot! Die Frauen waren keine zwei Tage hier und schon begann sie zu predigen. Die Prostituierte Flavia war der Auslöser. Salomé fand sie; sie weinte und beklagte sich, dass einer der Zenturios grob mit ihr umgesprungen sei. Das ist ja nichts Ungewöhnliches für diese Mädchen, dazu sind sie da. Aber Salomé war wütend und sie wurde noch wütender, als Flavia ihr sagte, dass sie ein Kind erwartete. Sie begann gegen die zu predigen, die Frauen schlecht behandeln, indem sie sie verkaufen. Die Huren arbeiteten nicht mehr, stattdessen kamen sie zusammen, um ihr zuzuhören. Und als sie fertig war, bestand Salomé darauf, dass Flavia das Sabbatmahl in meinem Haus einnahm – man stelle sich das vor! Octavia lehnte sich gegen mich auf und hieß sie willkommen!«
»Warum hast du Octavia nicht befohlen, die Hure wegzuschicken, statt ihr zu erlauben, das Sabbatmahl zu besudeln? Ist sie denn nicht deine Frau, die zu tun hat, was du ihr sagst? Ist es nicht dein Haus?«, fragte einer der Männer.
Titus trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. »Du hast ja keine Ahnung, wie sie sind, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt haben. Eine oder zwei kannst du mit Schlägen gefügig machen, aber wenn es so viele sind …« Er zuckte mit den Schultern. »Aber das ist noch nicht alles. Salomé wurde gefragt, ob sie die Kräfte ihres Bruders hat. Sie sagte, dass ihr Bruder Jesus ein Prophet sei, der keine besonderen Kräfte habe. Er und sie seien ganz gewöhnliche Juden, Diener Gottes, die Gottes Willen auf Erden zu erfüllen suchen. Und da riefen die Frauen, dass sie ebenfalls Dienerinnen Gottes seien. Stellt euch das vor! Sogar die Huren! Und sie sagten, sie würden nicht länger den Männern dienen, sondern Gott.«
Es dauerte nur ein paar Tage, da drohte der Anführer des römischen Lagers, die gesamte jüdische Gemeinschaft zu bestrafen, wenn sie Salomé nicht zum Schweigen brächten. Die Huren weigerten sich zu arbeiten und wollten getauft werden und der Hurenmeister hatte alle Hände voll zu tun, ihnen Gehorsam einzuprügeln.
Joseph starrte ihn entgeistert an. »Wo sind die Frauen jetzt?«
»Dort.« Er zeigte auf die Berge. »Die meisten Frauen sind weg – unsere Ehefrauen, unsere Töchter, Schwestern und die Huren. Sie sagen, sie wollen in den Bergen leben, wie die Essäer – keine Ehemänner, keine Kinder – eine religiöse Gemeinschaft. Die nur aus Frauen besteht!«
»In den Bergen? Die Essäer lebten in der Wüste!«
»Das tut nichts zur Sache. Egal, wo sie sind – es ist gegen das Gesetz, gegen die Natur. Selbst Octavia ist weg. Sie sagt, sie werden Frauen brauchen, die lesen und schreiben können, so wie sie. Ihre Eltern sind schuld – warum sollte ein Mädchen das Lesen und Schreiben lernen? Der Anführer des Lagers hat Soldaten geschickt, um sie zurückzubringen und Salomé in Fesseln zu legen.«
»Sind sie schon wieder hier?«
»Nein. Es ist nämlich noch etwas anderes geschehen.«
Menina, Alejandro und Ernesto waren inzwischen bei Kaffee und Nachtisch angelangt. Der Besitzer des Caf é s hatte ihnen Teller mit kleinen süßen Kuchen hingestellt, die noch von den Osterfeiern übrig waren, und der Tisch war übersät mit Krümeln. »Ich kann es kaum abwarten, bis Sie die Bilder sehen«, sagte Menina, während sie die Kuchenkrümel mit der Fingerspitze auftupfte. »Auf einem Bild ist die Szene mit den Frauen am Strand dargestellt – das Seltsame daran ist, dass in einer Ecke eine Wolke zu sehen ist, die wie ein Fleck oder wie Schimmel aussieht. Zuerst nimmt man sie kaum wahr, aber irgendwann kann man den Blick nicht mehr abwenden, so als sei sie das Wichtigste an dem ganzen Bild. Außerdem gibt es ein Portrait von Flavia – natürlich so, wie Tristán Mendoza sie sich vorstellte«, sagte Menina. »Ich vermute, es war seine letzte Gelegenheit, eine verführerische Frau zu malen, und er hat sich geradezu darauf gestürzt. Und nachdem ich das hier gelesen habe, glaube ich, dass eines der Bilder das Sabbatmahl zeigt, zu dem Flavia eingeladen wurde. So, hier ist der letzte Teil …«
Die dritte Geschichte des Evangeliums unserer Gründerin Salomé, von unserer ersten Äbtissin, die von gesegnetem Gedächtnis war und die diese Dinge mit eigenen Augen sah und sie unserer Schreiberin Octavia diktierte
Ich, Flavia, verließ die Stadt, sobald mir
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