Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
Luft ein, so unendlich erfrischend nach der sengenden Hitze in der Ebene. Als sie sich umsah, um einen Blick auf das Heim zu erhaschen, in dem Alejandro aufgewachsen war, blinkten ihre goldenen, mit Rubinen besetzten Ohrringe in der Sonne. Unter ihr breiteten sich gepflegte Gemüsegärten und Terrassenfelder mit Olivenbäumen aus, sie konnte die Glocken hören, die Ziegen um den Hals tragen, und von irgendwo erklang der Ruf der Schafhirten. In der Ferne klammerten sich kleine weiße Dörfer an die Bergwände.
Die Erleichterung darüber, dass sie ihr Ziel erreicht hatte, und der Duft nach sonnenwarmen Kräutern und Kiefernnadeln beruhigten ihre Nerven und ihren Magen. Sie reckte den Hals, um die Tore und Mauern des Klosters mit seinen vergitterten Fenstern sehen zu können. Um den Glockenturm segelten Schwärme von Schwalben. Isabela blinzelte in der hellen Sonne. Wäre nicht das Kreuz auf dem Glockenturm gewesen, hätte das Kloster ebenso gut eine der zahlreichen leer stehenden maurischen Festungen sein können, die mit dem Rücken zur Bergwand standen. Auf ihrer Reise waren sie an vielen dieser Festungen und Burgen vorbeigekommen, die die Mauren errichtet und in der Zeit der Reconquista verlassen hatten. Und dort, genau wie es in dem Buch beschrieben stand: die Statue, die eine Hand nach den Steinschwalben zu ihren Füßen ausstreckte. Sie waren so realistisch geformt, dass es aussah, als wollten sie sich gleich in die Lüfte erheben. Isabela schloss die Augen und einen Augenblick lang war es nicht der Windhauch, den sie auf ihren Wangen spürte, sondern Alejandros Atem, und sie fühlte sich getröstet.
Nur einen Augenblick lang. Weitere Prüfungen standen ihr bevor. Wieder packte sie der Schmerz, diesmal kam er unerbittlicher, eindringlicher. Sie umklammerte ihr Taschentuch noch fester, ihr Atem ging flacher. Kleine Schweißperlen erschienen auf ihrer Oberlippe. Sie sah zu ihrem Vater hinüber. Er sprach gerade mit dem Stallburschen, der darauf wartete, seine Zügel zu nehmen. Sie biss auf ihr Taschentuch. Verzweifelt versuchte sie, sich von dem Schmerz abzulenken und rief sich in Erinnerung, was der Gefolgsmann über diesen Ort geschrieben hatte.
Bevor das Kloster errichtet wurde, hatten Frauen hier heidnische Göttinnen verehrt. Irgendwie hatten sie den Weg zu diesem abgelegenen Flecken Erde gefunden. Die Phönizier hatten Bruchstücke von Votivkeramik und Amulette und einen kleinen Stein mit einer Inschrift in punischer Schrift hinterlassen, die ihn als den Schrein der Göttin Astarte auswiesen. Laut Plinius wurden karthagische Frauen hier zurückgelassen, als Hannibal ihre Männer auf Elefanten über die Berge führte, um Rom anzugreifen. Die Frauen widmeten den Astartes-Altar ihrer Göttin Tanit. In der Zeit des Kaisers Hadrian machten sich immer wieder abenteuerlustige junge Soldaten auf die Suche nach einer legendären Kolonie wunderschöner karthagischer Frauen in den Bergen. Doch der christliche Gott und die Fürbitte der Jungfrau hatten heidnische Verbindungen besiegt …
Der Schmerz ebbte ab. Isabela unterbrach ihre stummen Ausführungen und fragte sich, was ihr Vater so lange mit einem der Stallburschen zu besprechen hatte. Kurz darauf krampfte sich ihre Hand, die auf dem Kutschenfenster ruhte, wieder um das zusammengedrückte Taschentuch. Sie musste hinein. Bald.
Dann öffnete der Kutscher den Schlag und stellte einen Klotz vor die Stufen. »Komm, Tochter«, sagte der Graf streng. Beim Aussteigen brauchte sie seine Hilfe; mit einer Hand bauschte sie ihre Röcke, die andere Hand reichte sie ihm und versuchte, nicht schmerzhaft das Gesicht zu verziehen. Schweiß bedeckte ihre Stirn. Das Leben des Babys hing davon ab, dass sie sich nichts anmerken ließ. Sie beschwor den Schmerz zu warten, nur noch ein kleines Stück … noch ein Schritt … noch einer.
Sie erreichten das Tor und der Graf klopfte laut. Ein vergittertes Fenster glitt auf und eine Frauenstimme fragte, wer da sei. Der Graf nannte seinen und Isabelas Namen und Titel und einen Augenblick später öffnete sich das Tor gerade so weit, dass Isabela eintreten konnte. In diesem Moment überrollte sie die nächste Woge des Schmerzes und Isabela hielt den Atem an. Ein leises Stöhnen entfuhr ihr und der Graf schien eine grimmige Freude über ihren scheinbaren Widerwillen zu empfinden, durch das Tor zu gehen. Ihr Zögern hing jedoch damit zusammen, dass sich ihr ein heißer Schwall über die Oberschenkel ergoss. Sie neigte den Kopf und küsste
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