Das Zeichen der Vier
Kopfhaut des Mannes, an der Stelle, wo jetzt noch ein Mal zu erkennen ist. Dieses Stück Papier befand sich, so beschriftet, wie Sie es hier vor sich sehen, auf dem Tisch, und daneben lag dieser höchst sonderbare Gegenstand mit dem steinernen Kopf. Wie läßt sich dies alles mit Ihrer Theorie vereinbaren?«
»Bestätigt sie in jeder Hinsicht«, sagte der feiste Detektiv hochtrabend. »Haus gerammelt voll mit indischen Kuriositäten; Thaddeus Sholto hat diesen Gegenstand hier mit heraufgebracht, und wenn dieser Splitter da wirklich vergiftet ist, so kann ihn Thaddeus so gut wie jeder andere zu mörderischen Zwecken verwendet haben. Was das Papier betrifft, das ist irgend so ein Hokuspokus, aller Wahrscheinlichkeit nach ein Ablenkungsmanöver. Bleibt nur noch die Frage, wie er sich entfernt hat. Aha, alles klar, hier ist ein Loch in der Decke.«
Mit einer Behendigkeit, die in Anbetracht seines Leibesumfanges höchst beachtlich war, stieg er die Leiter empor, quetschte sich durch die Öffnung in die Dachkammer, und gleich danach hörten wir ihn jubelnd verkünden, daß er die Dachluke gefunden habe.
»Immerhin, er ist imstande, etwas zu finden«, bemerkte Holmes mit einem Schulterzucken. »Zuweilen glimmt ein Funke Vernunft in ihm auf. ›
Il n’y a pas des sots si incommodes que ceux qui ont de l’esprit
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»Da sehen Sie’s wieder einmal«, sagte Athelney Jones, als er wieder auf der Leiter auftauchte, »Fakten sind letzten Endes eben doch besser als Theorien. Meine Einschätzung des Falles hat sich bestätigt. Es gibt eine Luke, die aufs Dach hinausführt, und sie steht ein wenig offen.«
»Ich habe sie geöffnet.«
»Ach wirklich? Sie haben sie also bemerkt?« Er schien ein wenig geknickt ob dieser Eröffnung. »Nun, ob Sie sie bemerkt haben oder nicht, jedenfalls wissen wir nun, auf welchem Weg unser Gentleman verschwunden ist. Inspektor!«
»Ja, Sir«, tönte es vom Gang her.
»Würden Sie bitte Mr. Sholto wieder hereinbringen. – Mr. Sholto, es ist meine Pflicht, Sie davon in Kenntnis zu setzen, daß alles, was Sie von nun an sagen, gegen Sie verwendet werden kann. Ich verhafte Sie im Namen der Königin, unter dem Verdacht, in den Mord an Ihrem Bruder verwickelt zu sein.«
»Da hören Sie’s! Hab ich es Ihnen nicht gesagt?« schrie der unglückselige kleine Mann, rang seine Hände und blickte bald den einen, bald den anderen von uns beiden an.
»Machen Sie sich keine Sorgen, Mr. Sholto«, sagte Holmes. »Ich glaube, ich kann Ihnen mein Wort darauf geben, daß ich Sie von dieser Beschuldigung entlasten werde.«
»Versprechen Sie nicht zu viel, Herr Theoretiker, versprechen Sie nicht zu viel!« raunzte der Detektiv. »Das könnte sich als schwieriger erweisen, als Sie meinen.«
»Ich werde ihn entlasten, Mr. Jones, und damit nicht genug; überdies schenke ich Ihnen, kostenlos und unverbindlich, Namen und Beschreibung eines der beiden Männer, die gestern abend hier in diesem Zimmer waren. Ich habe gute Gründe anzunehmen, daß sein Name Jonathan Small ist. Er ist ein Mensch von geringer Bildung, klein, kräftig, hat sein rechtes Bein verloren und trägt eine Holzprothese, die unten auf der Innenseite Zeichen der Abnutzung aufweist. Am linken Fuß trägt er einen Stiefel mit einer derben, vorne eckigen Sohle und einem eisenbeschlagenen Absatz. Er ist von mittlerem Alter, sonnenverbrannt und ein ehemaliger Sträfling. Diese paar Angaben können Ihnen vielleicht weiterhelfen, zusammen mit der Tatsache, daß von seinen Handflächen ein anständiges Stück Haut weggekommen ist. Der andere Mann …«
»Hört, hört! Der andere Mann …?« feixte Athelney Jones, war aber, wie ich deutlich sehen konnte, nichtsdestotrotz von der Genauigkeit von Holmes’ Angaben beeindruckt.
»… ist eine höchst eigenartige Person«, sagte Sherlock Holmes und machte auf dem Absatz kehrt. »Ich hoffe. Sie binnen kurzem mit beiden bekanntmachen zu können. – Auf ein Wort, Watson!«
Ich folgte ihm hinaus auf den Treppenabsatz.
»Wir haben über diesem unerwarteten Geschehnis den ursprünglichen Zweck unseres Unternehmens ganz aus den Augen verloren«, sagte er.
»Daran habe ich auch gerade gedacht«, versetzte ich. »Es geht nicht an, daß Miss Morstan noch länger in diesem Unglückshaus bleibt.«
»Nein. Sie müssen sie nach Hause begleiten. Sie wohnt bei Mrs. Cecil Forrester in Lower Camberwell, das ist also nicht allzu weit. Ich werde hier auf Sie warten, falls Sie im Sinn haben, nochmals hier
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