Das Zeichen Des Dunklen Gottes
seinem Schachbrett und musterte die Figuren. Er hatte sich Weiß ausgewählt und war gerade im Begriff zu verlieren. Schwarz hatte seine Deckung zerschlagen und mit einem riskanten, aber brillanten Angriff eine Doppelbedrohung aufgebaut. Egal was er tat, eine Figur würde er verlieren. Es war bezeichnend für die Ereignisse der letzten Wochen: Zwickmühlen und Unausweichliches.
Sein Schnauzbart vibrierte ein wenig, als er den Niesreiz unterdrückte. Auch wenn in seiner Zelle luxuriöse Zustände herrschten, die Feuchtigkeit kroch an den Wänden entlang und machte seinen Knochen zu schaffen.
Ansonsten hatte sich der Kabcar alle Mühe gegeben, seinem einstigen Diener, Vertrauten und Mentor größtmöglichen Komfort angedeihen zu lassen. Ein kleiner Ofen stand im Raum, zusätzliche Kerzenhalter waren angebracht worden, Tisch, Stühle, ein Sofa und weitere Annehmlichkeiten, die keiner der anderen Mitgefangenen erhielt, sollten den Kerkeraufenthalt erträglich machen.
Aber es war nichts gegen die Freiheit, die er nach dem Willen des Herrschers für den Rest seines Lebens verwirkt haben sollte.
Saß er zunächst unter dem Palast in Haft, wurde er nach einer Woche bereits in das große Gefängnis verlegt, auf Anordnung des Konsultanten. Aber die Zugeständnisse wurden wenigstens aufrechterhalten.
Nach einer Zeit der anhaltenden Depression, in der Stoiko vor lauter Aussichtslosigkeit gar an Selbstmord gedacht hatte, regte sich sein Kampfgeist. Er schwor Ulldrael dem Gerechten, dass er nicht aufgeben wollte, bevor Mortva Nesreca samt Aljascha aus dem Land vertrieben worden war. Erst wenn der »Junge« wieder zu einem guten Kabcar gewandelt wurde, sollte sich seine Aufgabe erfüllt haben.
Also machte er sich mit seinen zehn Mitinsassen bekannt, die in den anderen engen Räumen um ihn herum im »Nobeltrakt« des Gefängnisses hockten.
Es waren nur Adlige, die hier eingesperrt waren. Die Ironie des Schicksals lag darin, dass sie ihre Rettung vor dem sicheren Tod beim Giftanschlag während des Festbanketts ihrer lebenslangen Haft verdankten. Offenbar hatte Nesreca sie als ungefährlich eingestuft. Oder schlicht vergessen. Und genau das sollte mit ihm selbst wohl auch geschehen, vermutete Stoiko. Der Ort, an den er verlegt worden war, hieß im Volksmund Verlorene Hoffnung.
Fünf der Blaublütigen saßen wegen Betrugs in großem Stil, einer wegen Falschmünzerei und wiederholten Falschspiels, einer wegen seines Hangs, die Gegner in Ehrenduellen grundsätzlich zu töten, ein anderer wegen mehrfachen Ehebruchs und Vielweiberei. Der Neunte hatte sich schlicht geweigert, Abgaben an den Kabcar zu zahlen, und der Letzte der Gefangenen schwieg beharrlich. Er verweigerte sich jedem Gespräch. Nur hin und wieder hörte man Geräusche aus seiner Unterkunft, die davon zeugten, dass er überhaupt noch lebte. Keiner der anderen wusste, weshalb er einsaß.
Mit dem Falschspieler lieferte sich Stoiko per Zuruf anspruchsvolle Schachgefechte, die ihm halfen, die Zeit bis zu seiner Befreiung, von der er überzeugt war, zu vertreiben. Ansonsten las er viel. Besucher waren nicht zugelassen, nur mit dem patroullierenden Wärter wechselte er ein paar Worte, um zu erfahren, wie es mit dem Land stand.
Vertieft in die verzwickte Figurenkonstellation, bemerkte er zunächst nicht, wie die Essensklappe der Tür umständlich geöffnet wurde.
»Euer Essen«, klang eine schüchterne Mädchenstimme an sein Ohr. »Ich bringe Euch Euer Essen, Euer Hochwohlgeboren.«
Stoiko musste grinsen. »Das ist kaum eine Anrede, wie ich sie verdient habe, gnädiges Fräulein. Dann sehen wir mal, was der Koch heute verbrochen hat. Tote Ratte und ein wenig eingeweichte Holzspäne, nehme ich an.«
Fröstelnd erhob er sich, warf im Vorbeigehen noch einen Scheit Holz in den Ofen, und näherte sich der Klappe.
Ein neugieriges braunes Augenpaar spähte ins Innere. Belustigt schaute der einstige Vertraute des Kabcar hinaus.
Erschrocken fuhr der Kopf zurück, dunkelbraune Haare und ein verdrecktes Gesicht wurden sichtbar. »Oh, verzeiht, ich wollte Euch nicht belästigen, Euer Hochwohlgeboren.« Schnell schob sie den Topf mit dem gebratenen Hähnchen, den Süßknollen und dem Gemüse hinein. »Bitte sehr.«
»Nanu, ist denn heute ein Feiertag? Das sieht in der Tat aus, als könne man es kauen.« Stoiko bemerkte sehr wohl den hungrigen Blick, den die Kleine, die er auf acht Jahre schätzte, auf sein Essen geworfen hatte. Er drehte eine Keule ab und reichte sie aus der
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