Das Zeichen Des Dunklen Gottes
Nerestros Gefolge, zum sofortigen Aufbruch aus Ulsar gedrängt hatte, verstand der anfangs nicht, wieso der schwer Verletzte diese Strapaze auf sich nehmen sollte. Doch die Kensustrianerin beteuerte immer wieder, dass nur die Gelehrten in ihrem Land in der Lage seien, ihren Geliebten vollständig genesen zu lassen, wenn der Heilstein seine Wirkung verlieren würde. Ihr Glück war, dass sich der Ritter nicht bei einem Cerêler von der Richtigkeit ihrer Behauptung überzeugt hatte, sondern auf das Wort der Gefährtin seines Herrn vertraute.
Die wahren Gründe und die Drohung Nesrecas verschwieg sie, weil sie fürchtete, einer der Kämpfer würde wutentbrannt versuchen, den Konsultanten zur Rede zu stellen. Das hätte den Tod ihres Geliebten bedeutet.
Noch immer lag das grüne Glühen um Nerestro, der seit dem schicksalhaften Zweikampf die Augen nicht ein einziges Mal geöffnet hatte. Sein Körper schien ohne Nahrung und Essen auszukommen, die Magie des Heilsteins wirkte Wunder.
Belkala wich nur hin und wieder von der Seite des Verwundeten, um sich selbst ein wenig Ruhe zu gönnen oder um auf Jagd zu gehen. Ohne die heimliche Aufnahme von Menschenfleisch müsste sie vergehen, so wollte es ihr Gott Lakastra, der sie dafür von den Toten zurückgeholt hatte.
Um die notwendige Besatzung nicht zu dezimieren oder gar einen der Ritter und Knappen in Gefahr zu bringen, verbrachte sie ab und zu einige Stunden mit »Spaziergängen«. Unterwegs verwandelte sie sich in das gefürchtete Wesen mit den übermenschlichen Kräften, das damals im Wald vor Granburg unter den Begleitern der Brojakin gewütet hatte. Sie tarnte ihre Bluttaten als Bestienattacken, und wer die hübsche Kensustrianerin mit den bernsteinfarbenen Augen friedlich an Deck stehen sah, würde ihr das zweite Gesicht, das nur ihre Opfer kannten, nicht glauben.
Aber etwas veränderte sie und fachte ihren Hunger nach menschlichem Fleisch weiter an. Sie schob es auf den häufigen Kontakt mit der cerêlischen Magie, die ihr Schmerzen bereitete.
Ihre Hände, mit denen sie die Tücher über die schweißnasse Stirn ihres Geliebten führte, wirkten verätzt, als seien sie in Berührung mit Säure gekommen. Dennoch ließ sie sich nicht von ihrer Fürsorge abbringen, sondern ertrug das quälende Brennen, das sie noch lange nach der Berührung mit dem grünen Flimmern empfand. Auch ihre Selbstheilungskräfte schafften es nicht, die Hautverletzungen rückgängig zu machen.
Sie bildete sich ein, dass durch die Zerstörung ihres Amuletts die Auswirkungen noch schlimmer zu spüren waren. Welchen Ursprung auch immer diese magischen Blitze Echòmers hatten, sie waren stark und in der Lage, den Talisman eines Gottes zu vernichten.
Zudem hatte dieser Echòmer sie als »Rákshasa« angesprochen. Niemand konnte wissen, was sie geworden war, nicht einmal Nerestro kannte die Bezeichnung dafür. Aber dieser Fremde hatte sie ohne Unsicherheit auf diese Weise benannt. Sie schloss daraus, dass der Krieger Nesrecas sich mit der kensustrianischen Götterwelt und Lakastra beschäftigt hatte, was wiederum eigentlich nicht sein konnte, weil einem Fremden solch tiefe Einblicke in das Religiöse verwehrt blieben.
Je länger sie auf der Fahrt über die Begebenheit gegrübelt hatte, desto mehr kam sie zu der Erkenntnis, dass es sich bei dem Streiter des Konsultanten, so abstrus der Gedanke erschien, um einen der Zweiten Götter handeln musste. Er hatte sich am Bett Nerestros selbst als »Hemeròc« vorgestellt, als er dem Ritter den Tod schwor. Wenigstens diese Bedrohung war durch die Flucht aus Ulsar von ihr abgewendet worden.
Aber das Schicksal des Kontinents bereitete ihr Sorgen. Es sah alles danach aus, dass man den Kabcar hätte töten müssen, so wie es Matuc vorgehabt hatte. Nun war es zu spät. Die bösen Mächte hatten sich um den jungen Herrscher versammelt.
Deshalb wollte sie nun zurück nach Kensustria, ihrer Meinung nach der sicherste Ort, wenn die Dunkle Zeit anbrechen würde. Wenn ein Land dem zurückgekehrten Kriegsfürsten Sinured standhalten konnte, dann war es ihre Heimat.
Gedankenversunken stand sie an der Reling und starrte in den Dunst, der lichter wurde und Platz für einen herrlichen Herbsttag machte.
Einerseits freute sie sich auf das warme Land, andererseits sah sie dem Tag ihrer Ankunft mit Angst entgegen. Zu viel war dort vorgefallen.
»Belkala!«
Der Ruf schreckte sie aus ihren verschwommenen Erinnerungen auf, die sich verflüchtigten wie der Nebel, von dem
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