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Das Zeichen des Sieges

Das Zeichen des Sieges

Titel: Das Zeichen des Sieges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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befiedert.»
    Über einer Kohlenpfanne hing ein zweiter, kleinerer Kessel, aus dem der Gestank von Hufleim aufstieg. Wilkinson benutzte diesen Leim, um die Gänsefedern an die Pfeile zu kleben. «Und Seide haben wir auch keine», murrte er, «also muss ich Sehnen verwenden.» Mit den Sehnen wurden die geschlitzten Federkiele an das Pfeilende gebunden, um die Haftstärke des Leims zu erhöhen. «Aber Sehnen taugen nichts», beschwerte sich Wilkinson, «sie trocknen aus, schrumpfen und werden spröde. Ich habe Sir Roger gesagt, dass wir Seidenzwirn brauchen, aber er versteht nichts davon. Er denkt, ein Pfeil ist bloß ein Pfeil, aber das stimmt nicht.» Er verknotete eine Sehne und drehte den Pfeil dann in den Händen, um die Kerbe zu begutachten, in der beim Abschuss des Pfeils die Sehne liegen würde. Diese Kerbe nannte man Nocke. Sie war durch eine Hornscheibe verstärkt, die verhinderte, dass der Zug der Bogensehne den Schaft des Pfeils spaltete. Das Horn widerstand Wilkinsons prüfendem Geruckel, und er grunzte in widerstrebender Befriedigung, bevor er den nächsten Pfeil aus der Lederhalte-rung nahm. Zwei Lederscheiben mit gezahnten Rändern hielten jeweils zwei Dutzend Pfeile fest, sodass die empfindliche Befiederung aus Gänsefedern beim Transport keinen Schaden nahm. «Federn und. Horn, Esche und Seide, Stahl und Firnis», sagte Wilkinson bedächtig. «Dein Bogen kann so gut sein, wie er will, und dein Bogenschütze auch - aber wenn dir Federn und Esche und Horn und Seide und Stahl und Firnis fehlen, könntest du genauso gut gegen den Feind antreten, indem du ihn anspuckst. Schon mal einen Mann getötet, Hook?»
    «Ja.»
    Wilkinson entging der streitlustige Ton nicht, und er grinste. «War es Mord? Oder war es in der Schlacht? Hast du schon mal einen Mann in einer Schlacht getötet?»
    «Nein», gab Hook zu.
    «Schon mal einen Mann mit deinem Bogen getötet?»
    «Einen, einen Wilderer.»
    «Hatte er auf dich geschossen?»
    «Nein.»
    «Dann bist du kein Bogenschütze. Töte einen Mann in der Schlacht, Hook, und du kannst dich Bogenschütze nennen. Wie hast du deinen letzten Mann umgebracht?»
    «Ich habe ihn erhängt.»
    «Und warum hast du das getan?»
    «Weil er ein Häretiker war», erklärte Hook.
    Wilkinson fuhr sich mit der Hand durch das lichter werdende graue Haar. Er war mager wie ein Wiesel und hatte einen schwermütigen Ausdruck in seinen klugen Augen, die Hook jetzt grimmig anblickten. «Du hast einen Häretiker gehängt?», fragte er. «Denen ist wohl das Feuerholz ausgegangen in England, was? Und wann hat diese Ruhmestat stattgefunden?»
    «Vergangenen Winter.»
    «Es war ein Lollarde, oder?», fragte Wilkinson und grinste höhnisch, als Hook nickte. «Du hast also einen Mann gehängt, weil er sich mit der Kirche über ein Stück Brot gestritten hat? , sagt der Herr. Der Herr sagt nichts davon, dass Er ein Stück totes Brot auf dem Abendmahlsteller eines Priesters ist, oder etwa doch? Er hat nicht gesagt: , oder etwa doch? Nein, Er hat gesagt, dass Er das lebendige Brot ist, mein Sohn, aber du wusstest zweifellos besser als Er, was du zu tun hast.»
    Hook nahm die Herausforderung in Wilkinsons Worten wahr, doch er fühlte sich außerstande, etwas darauf zu erwidern. Er hatte sich nie viel um die Religion oder um Gott gekümmert, jedenfalls nicht, bevor er diese Stimme in seinem Kopf gehört hatte, und inzwischen fragte er sich manchmal, ob es diese Stimme überhaupt wirklich gegeben hatte. Er erinnerte sich an das Mädchen im Stall des Londoner Wirtshauses, daran, wie sie ihre Augen flehentlich auf ihn gerichtet hatte, und daran, wie er sie ihm Stich gelassen hatte. Er erinnerte sich an den beißenden Gestank brennenden Fleisches, an den Rauch, der vom leichten Wind über die Lilien und Leoparden des englischen Wappens gewirbelt worden war. Und er erinnerte sich an das Gesicht des jungen Königs, dieses vernarbte, unerbittliche Gesicht.
    «Aus dem hier», sagte Wilkinson und nahm einen Pfeil mit einer verzogenen Spitze in die Hand, «können wir einen richtigen Todesengel machen. Damit lassen wir ein paar adlige Seelen zur Hölle fahren.» Er legte den Pfeil auf einen Hackklotz und wählte ein Messer aus, dessen Schärfe er mit dem Daumennagel prüfte. Dann schnitt er mit einer schnellen Bewegung das oberste Stück des Pfeils ab und warf es Hook zu. «Mach dich nützlich, Junge, und hol die Ahlspitze raus.»
    Der Pfeilkopf bestand aus einem schmalen Stück Stahl, das etwas länger war als Hooks

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