Das Zeichen des Vampirs - The Society of S
ich. »Sara Stephenson. Kennen Sie sie?«
Sein fragender Gesichtsausdruck wurde traurig. »Sara«, murmelte er. »Ich hab seit Jahren nicht mehr an sie gedacht. Was ist denn aus ihr geworden?«
»Ich weiß es genauso wenig wie Sie«, antwortete ich.
Der Mann hieß Roger Winters und schüttelte betrübt den Kopf, als er hörte, dass ich meine Mutter nie kennengelernt hatte. Er schwieg eine Weile betroffen und erzählte dann, er habe sie recht gut gekannt. »Sie arbeitete während ihrer Schulzeit für mich, und später, als sie geschieden war, kam sie zurück. Sie wissen, dass sie schon mal verheiratet war?«
»Ja«, sagte ich.
»Ich war froh, dass sie ihn verlassen hatte und wieder für mich arbeitete. Sie war eine gute Kraft«, sagte er. »Hatte ein prima Händchen für die Bienen.«
Er hatte eine sanfte, melodische Stimme und sprach träge und gedehnt, so hatte ich bisher noch nie jemanden sprechen gehört. Ich dachte an den schroffen, abgehackten Tonfall zurück, in dem die meisten Einwohner von Saratoga Springs miteinander sprachen (bis auf meinen Vater, der eine bemerkenswerte Ausnahme bildete). Mr Winters hätte ich stundenlang zuhören können.
»Jetzt sehe ich auch die Ähnlichkeit«, rief er. »Sie haben die gleichen Augen wie Ihre Mutter.«
»Danke!« Zum ersten Mal hatte ich einen echten Hinweis auf das Aussehen meiner Mutter erhalten.
Er zuckte die Achseln, eine Geste, die sich bei ihm auf ein leichtes Hochziehen der rechten Schulter beschränkte. »Sie war wunderschön«, sagte er. »Und Humor hatte sie! Die Frau hat es immer geschafft, mich zum Lachen zu bringen.«
Ich erzählte Mr Winters, ich sei nach Savannah gekommen, um meine Mutter, irgendwelche Verwandte oder zumindest
eine Spur von ihr zu finden. »Ich weiß, dass sie eine Schwester hatte. Sophie.«
»Sophie ist ganz anders als Sara«, sagte er.
»Kennen Sie sie?« Ich konnte mein Glück kaum fassen.
»Ja, sie lebt ein paar Meilen von hier, Richtung Stadt. Dort hat sie jedenfalls mal gewohnt. Ich hab schon seit Jahren nichts mehr von Sophie gehört. Hab sie oft mit ihren Rosen in der Zeitung gesehen, wenn gerade eine Blumenschau stattfand.«
Er musste mir meine Enttäuschung angesehen haben, denn er fügte hastig hinzu: »Das heißt aber nicht, dass sie jetzt nicht mehr hier wohnt. Wieso rufen Sie nicht einfach mal bei ihr an?«
Ich erzählte ihm, dass ich ihren Namen nicht im Telefonbuch gefunden hätte.
Er zuckte wieder die Achseln. »Sophie ist unverheiratet und lebt allein. Ist ihr wahrscheinlich lieber, wenn ihre Nummer nicht im Telefonbuch steht. Ja, das würde Sophie ähnlich sehen.« Er beugte sich hinunter, um seine Haube und den Schleier aufzuheben, die er neben dem Rauchgerät ins Gras gelegt hatte. »Ich sag Ihnen was. Es ist sowieso Zeit für meine Mittagspause. Ich fahr Sie nach dem Essen vorbei, und wir schauen mal nach, ob sie immer noch in dem Haus in der Screven Street wohnt.«
»Das ist furchtbar nett von Ihnen«, sagte ich.
»Das ist doch das Mindeste, das ich für Saras Tochter tun kann. Wie alt sind Sie überhaupt? Siebzehn, achtzehn?«
»Genau.« Ich hatte nicht vor, ihm zu erklären, warum eine Dreizehnjährige alleine unterwegs war.
Mr Winters fuhr einen alten blauen Pick-up mit einem gelben Honigbienen-Logo auf beiden Türen. Die Fenster waren heruntergekurbelt und ich war glücklich; die Sonne war hinter den Wolken hervorgekommen, und die Luft, die in den Wagen wehte, war feucht und heiß.
Auf dem Rückweg in die Stadt hielt er vor einem Lokal an - einem ganz einfachen Imbiss, kaum mehr als eine Bretterbude am Straßenrand. Wir suchten uns draußen einen Platz an einem Campingtisch mit Blick auf das Sumpfgebiet und genau hier sollte ich zum ersten Mal in meinem Leben rohe Austern essen.
Nachdem ich mich gesetzt hatte, verschwand Mr Winters im Lokal und kehrte kurz darauf mit einer großen Platte Austern zurück. Sie waren unterschiedlich groß - ihre oberen Schalen waren bereits entfernt worden - und lagen auf zersto ßenem Eis. Anschließend ging er noch einmal weg und kam mit einem leeren Suppenteller, einer Schüssel Cracker und einer Flasche mit roter Soße wieder. Dann stellte er die Sachen so hin, dass sie genau in der Mitte von uns standen.
»Was? Noch nie Austern gegessen?« Er sah so erstaunt aus, als hätte ich ihm eben gesagt, dass ich noch nie Luft geatmet hätte. »Yankees«, brummelte er.
Er zeigte mir, wie man sie aß: Zuerst träufelte er zwei Tropfen von der roten Soße auf die
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