Das Zeit-Tippen
wird die noch schlimmer; sie wird schwarz und geronnen im Teppich. Maureen kämmte ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zurück und bewunderte sich im Spiegelbild. Der Geruch verdichtete sich. Sie lehnte sich aus dem Fenster, um die warme Luft zu fühlen und den strahlenden Morgen zu sehen. Denk nicht mehr an die Trommel. Laß sie auf der Truhe liegen. Zerrissen. Laß sie allein. Sie ist gar nicht da.
Sie konnte nicht die Küchendünste riechen – sie verloren sich in den Wogen der Übelkeit, die ins Zimmer rollten. Immer dichter. Sie zogen sie in das Zimmer, drangen ihr in Mund und Nase, leckten an ihren Eingeweiden, bis die sich zu erbrechen bemühten. Aber Maureen konnte sich nicht erbrechen. Sie konnte die Augen nicht von der Trommel abwenden, die nun mitleidig wackelte. Sie hätte am liebsten die Trommel zertrümmert, ihr das Trommelfell abgezogen, das Holz zersplittert, den Schulterriemen aus Plastik in rote Quadrate zerstückelt.
Sie strebte zur Spielzeugtruhe, stellte aber fest, daß sie noch immer am Fenster stand. Sie weinte, lachte dann, biß die Zähne zusammen, träumte von Fangarmen und haßte alles im Zimmer, vor allem die Trommel. Sie spürte, wie ihre Mutter mit Gewalt in sie eindrang. Sie konnte ihre Poren nicht schließen; sie waren gähnende Löcher. Sie war nackte Ihre Mutter. Ein Sud aus Angst und Geschrei, eine flache Maske der Zärtlichkeit. Eine in den Jahren vergilbte Puppe, rissig und verdorrt. Sie schrie bei allem, was ihr weggenommen wurde. In ihr schwoll ihre Mutter an, reizte sie mit Versprechungen der Tiefe, Versprechungen unempfundener Gefühle, Gedanken, um ihre Wirbelsäule zu prickeln, Gemütsbewegungen, denen sie nicht gewachsen war. Aber es waren nur oberflächliche Reflexe.
Sie drängte ihre Mutter hinaus und streckte die Hand nach ihrem Vater aus. Sie schrak zurück, und er umarmte sie nicht. Er war zu schwer; er hätte sie erdrückt. Sie grapschte nach seinem Gesicht und kratzte ein Stück welke Haut davon ab. Sie hackte nach ihm und legte ihren Haß in ihre Finger. Hör auf! Geh weg! Sie betrachtete das zerkratzte Gesicht ihres Vaters und brach in Tränen aus. Geh weg! Sie konzentrierte sich auf die Trommel; sie widerspiegelte die Pfütze unten. Verwandelte sich in etwas anderes. Maureen malte sich Tiere, Bäume, Muster auf Bettdecken, Puppengesichter, Gemälde aus. Das Substanzgerinnsel im Wohnzimmer blieb davon unberührt. Man kann es nicht ändern; man kann es nicht schaffen. Das Gerinnsel erbebte und verzerrte die Wand hinter sich. Doch, dachte sie, das habe ich geschafft, das habe ich geschafft. Sie packte die Trommel und rannte aus dem Zimmer; ich mache mir nichts daraus.
Sie stand, die Trommel unter dem Arm, auf der Treppe. Sie vermochte die Pfütze nicht verschwinden zu lassen. Sie konzentrierte sich auf seine eingebildete Form, sie zerstörte sie in ihrem Geist. Die Pfütze blieb davon unberührt. Mach, daß sie verschwindet. Am liebsten hätte Maureen geschrien, geweint und wäre zu ihrer Mutter gerannt, die in den Küchendünsten badete.
Sie betrachtete die Trommel. Sie war ruhig und fühlte sich plötzlich sehr alt. Die Trommel warf Blasen auf; sie grapschte danach, und die Trommel puffte. Ihr war sehr warm, und sie fühlte sich traurig. Sie setzte sich auf eine Stufe und streckte die Beine aus. Ein goldener Faden kroch die Treppe hinauf, und sie fing ihn zwischen den Fingern und saugte mit einem tiefen Zug daran.
Die Gedanken an Weinen und Schreien rückten in die Ferne. Es war ein Spiel. Es machte Spaß, Angst zu haben. Wärme überflutete sie. Liebesfäden krochen die Treppe hinauf, glitzerten, beschützten sie, lachten mit ihr, die plötzlich traurig war, aber angenehm traurig.
„Ruf deinen Vater. Das Frühstück ist fertig.“ Ihre Mutter stand unten im Vestibül. Sie sah entspannt aus; ein leises Lächeln zuckte in ihren Mundwinkeln und verflüchtigte sich dann. „Wann hast du deine Trommel kaputtgemacht? Sie ist fast funkelnagelneu, und schon hast du sie kaputtgemacht. Hast du mit einem Stock darauf geschlagen? Sie ist nur dazu da, mit den Fingern darauf zu schlagen, und nicht mit einem Stock. Na, es nützt jetzt doch nichts mehr. Bring sie nach unten und wirf sie weg!“
„Okay. Aber muß das gleich sein?“
„Ja, auf der Stelle. Wirf sie in den Mülleimer in der Küche.“
Sie konnte sie noch nicht wegwerfen. Alles würde von vorne anfangen: das Erbrechen, der Gestank, Zähne, Krallen, Tritte, Zerren, Schläge, Fäuste, Haß. Nein, ich werfe sie
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