Das Zeit-Tippen
Ein glitzernder Gürtel trennte Verstand und Herz von seinen bestechlicheren Körperpartien.
„Du hast dein Soll erfüllt“, sagte Levi. „Das ist Gesetz.“ Er zwinkerte der Frau in dem Ballonanzug zu. Erneut ein gelbes Gleißen, als ein Paar in den Laden trat und in der Ecke Zeitschriften durchblätterte. Beide trugen Paillettengewänder, Perlschnüre und Metallanhänger in der Form von Sternen und grotesken Gesichtern. „Siehst du“, sagte er. „Neue Kunden müssen angestachelt werden. Jetzt bin ich dran, Chaim. Na, geh schon.“
„Schon wieder so ein trüber Tag draußen“, sagte Levi. „Der Tag ist Nacht, der Morgen ist Nachmittag. Pfui. Sie benutzten Kugellampen und miese Quäk-Quäk-Gedankengeräusche, um bessere Geschäfte zu machen. Und alles ist gelb. Ich hasse Gelb. Es tut meinen Augen weh. Kann ich Ihnen behilflich sein?“ fragte er das Paar in der Ecke, das sich eine ärmliche Auswahl von pornographischen Telefexbändern ansah. Sie ignorierten ihn.
„Die Straße wird demnach ihren Namen verdienen“, sagte Chaim nach einer Pause. „Chelm, Chelm, ein schelmischer Ort.“
„Komm, hol ihr ihre Puppe“, sagte Levi plötzlich ernst. „Du wirst es ihr nicht ausreden.“
Er hat recht, sagte sich Chaim. Was macht es schon aus – sie ist nur ein Ballon. Obwohl der Raum seine frühere Schummerigkeit zurückgewonnen hatte – die kleinen pentagrammförmigen Fenster spendeten nicht viel Licht, und die Lampen waren gedimmt –, leuchtete ihr Ballonanzug. Er schien sich zu bauschen. Chaim konnte ihr Gesicht nicht anschauen. Noch mehr Zores für mich, dachte er. Jeder Tag brachte seine Scherereien mit sich. Einen Haufen Stöcke, die ausreichten, um ein heiliges Feuer zu machen.
Chaim versuchte, das Gedankengeräusch auszuschließen, das in seinem Kopf dröhnte. Das Gedankengeräusch mußte irgendwo aus dem Innern des Ladens kommen, dachte er, es war zu stark für Echos von draußen. Es verursachte ihm Kopfweh.
„Also“, sagte die Frau, „ich warte.“
Na schön, warten Sie, dachte Chaim. Der Fexschirm flimmerte. Keiner außer Chaim konnte ihn sehen. Er war in einen toten Winkel des Ladentischs aus Glastex eingebaut.
Achtung!
Eindringlinge FaChrm#4.
Polizei benachrichtigt/SU. Pro.:
Die Kinkies errichten eine Verstandesblockade, dachte Chaim. Deshalb konnte ich den Alarm nicht hören. Chaim war mit der Alarmanlage des Ladens gedankenverbunden. Sie müssen reich sein, dachte Chaim. Reich genug, um mit ihrer eigenen Ausrüstung das teuerste Alarm- und Kontrollsystem zu unterbrechen. Einige Sekunden lang hing er Tagträumereien nach. Herbesh. Dasselbe Wort kam ihm in den Sinn. Er erinnerte sich: Herbesh war ein mächtiges Mitglied eines Chartisten-Clans. Das „Städtl“ hatte viele politische Feinde, und davon waren die Chartisten die rabiatesten. Viele Geldfehden waren wegen des Antisemitismus verloren worden. Aber die Chartisten waren mehr als nur politische Feinde; sie schöpften ihre Stärke und Gemeinschaftlichkeit aus dem Haß und gewannen daher machiavelistischen Zugang zur höheren Politik.
Herbesh, dachte Chaim. Ein Paskudnyak. Sie sind ein und derselbe.
Paskudnyak war eine jüdische Mythe, eine aus Paranoia geborene und genährte weiterlebende Legende. Er wurde als Brennpunkt des Bösen betrachtet, als „Berg der Finsternis“. Manche behaupteten, er sei verwachsen, und nannten ihn Shitman Buckel; andere behaupteten, er sei häßlich wie die Sünde, verführe aber alle schöne Frauen, die ihm über den Weg liefen. Fruma, Chaims Frau, glaubte, er müsse schön sein – eine irregeführte Unschuldige. Eine Nebbich. Er war der imaginäre Superkonspirant, der verschiedene Masken zu verschiedenen Zeiten aufsetzte, um das jüdische Bündnis zu vereiteln. Chaim glaubte halb an Paskudnyak. Schließlich, pflegte er sich zu sagen, gibt es offenkundig eine Verschwörung gegen das „Städtl“.
Einer dieser Kinkies sagte etwas über Herbesh, dachte Chaim. Demnach müssen sie mit ihm in Verbindung stehen. Sie haben das Geld, um zu stehlen und eine Verstandesblockadeausrüstung zu kaufen. Sie müssen es auf die Puppen abgesehen haben. Gotenju. Die Kinkies würden sich mit den Puppen vollstopfen und einen neuen Skandal, eine neue Fehde hervorrufen. Aber warum stehlen sie die Puppen? Wenn sie sich eine Verstandesblockadeausrüstung leisten konnten, könnten sie doch die Puppen einfach kaufen.
Dahinter mußte also ein Plan stecken, dachte Chaim. Und ein Plan konnte nur Skandal
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