Das Zeit-Tippen
haben. Das Mädchen ist hübsch, nicht fett und sinnlich wie Fruma, sondern zierlich und spröde wie Raizel, die Amme.
„Nehmen Sie sie mit nach Hause, schlafen Sie mit ihnen“, sagte das Mädchen, während es eine fettige Locke um den Zeigefinger wickelte.
Was für kleine Brüste muß sie haben, dachte Chaim. Er spürte, wie starke unnatürliche Triebe in ihm aufwallten, ihn erfüllten und gegen die Innenseite seiner Haut schlugen, um sich zu befreien. Sein Körper war nicht länger ein heiliges Gefäß, und er fühlte sich ihm gleichgültig fern. Er fuhr es wie ein Auto zur Hintertür. Seine Drüsen sekretierten die falschen Säfte, anästhesierten ihn, narrten ihn mit Meeren sexueller Sensation – alle auf das Kinkie-Mädchen gerichtet, immer verebbend, statt neue Höhen zu erreichen. Frustierten ihn. Aber diese Frustration war von krankhaft-süßer Schönheit.
Er konnte, er wollte sie nicht haben. Deshalb drangen die Dibbuks auf ihn ein, scheuerten mit seinem sensiblen Gewissen sein Fleisch, um Schuldgefühle hervorzurufen. Das erhöhte die Sensationen, verstärkte das Gebräu. Chaim drehte sich um, um einen letzten Blick auf das Mädchen zu werfen, während er gegen die Tür drückte, und hielt sich dann zurück. Nein, dachte er. Gott sollte ihn nicht bis zum Rande mit Schmutzleben gefüllt sehen. Die Puppen waren nicht mechanisch: Sie lebten.
Die Tür öffnete sich, und Chaim stand auf der Straße und blinzelte in dem grellen gelben Licht. „Nicht einmal ein Blick zurück“, sagte er zu den Puppen in seiner Hand und den Dibbuks in seinem Kopf. Die Chelm Street lag zu seiner Rechten, wimmelte von Leuten; Fließbänder glitten stadteinwärts und auf der anderen Seite zurück. Wie Boote auf dem Wasser trieben Plattformen und Drehscheiben in der Straßenmitte hinab. Jenseits der Chelm Street zu seiner Linken ragten Wolkenkratzer im Halbkreis aus dem Gedankennebel auf und funkelten wie Glasstalagmiten in einer Kristallgrotte. Mit Sonnenlampen ausgestattete Glastexfenster schichteten sich reihenweise übereinander und reichten wie umgedrehte Wurzeln bis zur hellen Kuppel hinauf. In dieser Glaslandschaft befand sich ein im sich senkenden Nebel kaum erkennbarer runder Park. Seine Grenze war nur wenige Fuß von Chaims Standort entfernt. Wenige Fuß von ihm entfernt verlief eine Transkapselschiene, so weit er nach links blicken konnte, und versank wenige Fuß rechts von ihm im Boden.
Chaim war es schwindlig. Der Nebel machte ihn benommen. Seine Dünste und Quäk-Quäk-Gedankengeräusche erregten ihn, ließen ihn sich wie verzaubert fühlen, als Teil der Party-Menge. Eine kleine Transkapsel hielt vor ihm. Das silberne Ei wurde computerkontrolliert und von einem in die schmale Schiene eingebauten Propulsionsystem angetrieben. Chaim stieg mit einiger Mühe in die Transkapsel und stimmte dabei sein ewiges Oi-oi-oi-an. Er zog die Koordinatoren heraus, um nach Hause zu fahren, rief im „Städtle“ an, um ihnen von seinem Dilemma zu erzählen, und als er schließlich eine bequeme Haltung gefunden hatte, stand er fast auf dem Kopf.
Er versuchte sich zu fassen. Genau wie ich gedacht habe, da ist keine Polizei, sagte er sich. Er schaute in den Karton auf seinem Schoß und dachte: Ich sollte diesen Dreck in den Müllschlucker werfen. Aber wer wußte, was ihn zu vernichten vermochte? Indem er ihn fortwarf, brachte er vielleicht die Dibbuks für immer aus seiner Reichweite, und ihre Geister würden in ihm bleiben und ihn verderben, bis er nur noch eine Hülle voller Dibbukdreck wäre. Er benötigte das Fleisch der Dibbuks, um sie auszutreiben.
Chaims Herz; hämmerte. Die Kapsel schien kleiner zu werden. (Das bildest du dir ein, sagte sich Chaim. Laß das.) Er hatte wieder Angst vor geschlossenen Räumen, wie als Kind, als er mit Dvora Shuddukah in Makhers Wandschrank eingesperrt worden war.
„So soll es also laufen“, sagte er und versuchte seine Phantastereien zu ignorieren. Er raffte sich zusammen, streckte die Arme aus, berührte mit den Fingern die silbernen Seitenwände und murmelte das Schma Jisroel. Die Luft war plötzlich von aufdringlichen Gerüchen erfüllt. (Laßdaslaßdas, sagte sich Chaim. Es ist ein Traum. Errichte nicht die Kulisse dafür.) Er versuchte zu beten. Ihm fiel das Atmen schwer. Es war zu heiß. Er schwitzte. (Du bist ausgedörrt wie eine Strohmatte.) Sein Taliss-kotn, ein Untergewand mit Schaufäden, war, dachte er, durch seine Träume klitschnaß und besudelt. Er bemerkte, daß er eine
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