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Das Zeit-Tippen

Das Zeit-Tippen

Titel: Das Zeit-Tippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Dann
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Klageraum, Bundeskongreß und Ortsschulen wie die Talmud Tojress und der Gemara Chejder.
    Aber nur wenige Leute waren dort, bloß Besucher, Frühschichtarbeiter, verspätete Schwätzer und Kinder, die von Berufsschulen oder reichen Chejders zurückkamen. Die „Königin-Braut“ des Sabbats mußte hereingeführt werden; es blieb keine Zeit zum Trödeln. Der Schammes, ein Synagogendiener, erfüllte schon früh seine Pflichten. Er ging das Fließband entlang und rief dabei: „Juden, auf zum Badehaus, zur Mikwe oder Reinigung!“
    „He, Chaim“, rief er. „Wir haben gehört, was geschehen ist. Beeil dich. Rabbi Ansky hat mehr als genug Männer gefunden, um einen Minjan zu bilden. Und – gesegnet möge er sein – der Baalschem aus dem Menachem Getto wird den Vorsitz haben.“
    Chaim ignorierte ihn und trat in einen schmalen Gang, der zu seiner Wohnung führte. Ich muß allein sein, dachte er. Nur eine Minute, nur um nachzusehen… Er mußte in den Karton schauen; in ihm befand sich seine Katharsis. Aber der Minjan wird mich retten. Warum brauche ich eigentlich Raizel, fragte er sich. Ich brauche nur mich. (Dibbukgeschwätz.) Aber Raizel ist ein Lustgefäß. Ganz egal. Ich habe alles in mir. Er hörte Gesprächsfetzen, ehe er seine Wohnung erreichte. Ich muß an diesem Minjan vorbeigelangen, dachte er. Die Schiebetür war offen. Er trat in sein Vorderzimmer und stellte fest, daß es voller Leute war, mehr als genug für einen heiligen Minjan zur Austreibung der Dibbuks. Chaim blieb vor seiner Frau Fruma stehen, die einen Schritt zurückwich. Sie trug ein schwarzes Kleid, einen Spitzenschleier über ihrer Matronenperücke und ihren ganzen Schmuck, der aus drei goldenen Anstecknadeln, zwei Halsketten mit Mogen-Dovid- Anhängern und mehreren silbernen Armreifen bestand. „Es tut mir leid“, sagte sie. „Das Jahr in der Hölle sollte mir zuteil werden. Es sind die Dibbuks…“
    Auch sie sieht wie ich aus, dachte er. Das gleiche kräftige Gesicht. (Laß das. Hier bist du sicher.)
    „Wir haben es von Levi gehört“, sagte Fruma. „Es muß einer von Paskudnyaks Tricks sein. Aber wir sind stark, schau nur, da ist der Baalschem – er möge gesegnet sein –, und Rabbi Ansky wird beim Minjan den Vorsitz haben. Und für alle Fälle hat Mordcha Lublin uns den Schofar aus dem Neuen Tempel mitgebracht.“
    Alle außer Rabbi Ansky standen hinter dem Baalschem, einem heiligen, ungefähr achtzigjährigen Mann mit weißem Vollbart und gefetteten Schläfenlocken. Er trug einen schwarzen Kaftan aus feinstem Satin und ein Käppchen mit einer Quaste. Fruma wollte noch etwas sagen, als der Baalschem die Arme effektvoll ausbreitete und sagte: „Es ist an der Zeit. Laßt uns anfangen. Chaim, gib mir diesen Karton mit dem Dreck.“
    „Du kannst jetzt das andere Zimmer vorbereiten“, sagte der Baalschem zu Fruma. „Dann verlaß uns. Eure Sogerke oder welche Frau eurer Wahl auch immer wird eure Gebete für Chaim in diesem Zimmer leiten. Aber denk daran, lausche nicht unseren heiligen Worten.“
    Einige Männer – Gebetsmäntel um die Schultern, Gebetsriemen um Stirn und bloße Arme – wogten bereits hin und her und murmelten Gebete. Chaim sah sich im Zimmer um. Er kannte die meisten Männer: Yitzchak Meyvn, Solomon den Kantor, Avrum Shmuel, Yudel, der seine Frau mit seiner Nachbarin betrog, Moishe Makher, Yussul, Itzik, Yankel und andere, deren Namen er vergessen hatte.
    „Gib mir jetzt den Karton“, sagte der Baalschem. „Wir müssen uns beeilen. Der Schabbes wird nicht auf uns warten.“
    „Nein“, sagte Chaim. „Ich muß für mich allein sein.“ (Gib ihnen den Karton.)Ich habe es fast hinter mir, dachte er. (Die Dibbuks saugen dich auf.) Nur einen Moment. (So kannst du nicht für dich allein sein. Trejfetrejfe. Unrein.)
    „Was ist das für ein Gerede?“ fragte Rabbi Ansky, ein dunkelhäutiger Mann mit kahlgeschorenem Kopf, gekräuselten Schläfenlocken und einem struppigen schwarzen Bart. Er machte einen Schritt auf Chaim zu. „Na, komm schon, gib mir den Karton.“
    Chaim schmeckte Würmer im Mund. Er stürzte zum Schlafzimmer, wobei er Rabbi Anskys Frau, eine runzlige Alte, über den Haufen rannte, die daraufhin um Hilfe rief. Der fette Yitzchak versuchte, ihm den Weg abzuschneiden, aber Chaim war schon an Fruma vorbei. Er stieß sie aus der Türöffnung beiseite und schloß die Schiebetür ab. Ein paar Minuten bin ich hier vor ihnen sicher, dachte er. Sie würden einige Zeit benötigen, um das Schloß

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