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Das Zeit-Tippen

Das Zeit-Tippen

Titel: Das Zeit-Tippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Dann
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Erektion hatte.
    Er träumte von Dvora, der goldigen schlanken Dvora mit ihren Brustansätzen und ihrer Piepsstimme. Im Wandschrank war es dunkel, und Dvora war nackt und quietschte wie eine Maus. Luft, sagte sich Chaim würgend. Zu klein. Ich kann nicht atmen. (Lügner. Dibbukträumer. Du lächelst und atmest saubere Recycle-Luft.) Chaim streckte die Hand aus, um die grauen Wände verschwinden zu lassen, konnte aber den Schaltknopf nicht erreichen. (Hör mit dem Theater auf, und drück auf den Knopf.)
    Und dann drückte er auf den Knopf und schrie. Er war ein Schauspieler ohne Publikum. Aber es gab keine Befreiung. Der Hals tat ihm weh, und sein Kopf schmerzte. Nun war zuviel Luft und Raum vorhanden. Ringsum war die Stadt, und er wurde durch einen Glastunnel, durch einen der Billionen durchsichtiger Schläuche, die die Stadtviertel miteinander verbanden, zu einer Schlucht aus Glas und Stahl und Licht gefegt. Hoch über ihm zogen sich perspektivische Linien zusammen. Ein Dach überspannte diesen Teil der Stadt und verschmolz alle Gebäude zu einer Decke. Unter ihm waren Gleitwege und bewegliche Läden und Millionen von Leuten, die herumeilten und die klaren geometrischen Linien des Straßennetzes verdarben. Aber Chaim konnte sie von seiner Höhe aus nicht erkennen.
    Er hoffte auf einen Anflug der Erleichterung. Er war fast zu Hause. Aber die Vorfreude war zuviel für ihn. Sie wurde zu einem rädernden Schmerz. Und dann einfach zur Angst. Er hatte erst einmal in seinem Leben Höhenangst gehabt, als er wagehalsig auf eine Brüstung kletterte. Er rutschte aus und wäre fast hinuntergefallen. Das gleiche Gefühl hatte er jetzt. Er fiel wieder und griff nach einem Glasrand.
    Vor ihm war eine Glaswand. Dann war er drinnen. Die Transkapsel setzte ihren Weg zu einer Hebeschiene fort, die sie wie ein Aufzug zu den obersten Stockwerken der höchsten Wohngebäude in New York brachte. Der Castigon Complex bestand aus zwei hundertstöckigen, miteinander durch Querwände und Notausgangsrohre verbundenen Wolkenkratzern. Die obersten Stockwerke erlaubten einen Ausblick auf die glatte, schneebedeckte Fläche der Stadtdächer und schwankten leicht. Aber von Chaims Standort aus war das Gebäude zu groß, um anders als ein Geflecht aus Linien und Verschachtelung von willkürlichen Formen gesehen zu werden. Es war so, als hätten diese Wolkenkratzer einen Glasrahmen, der selbst ein anderes Gebäude war.
    Als die Kapsel hielt, klärte sich Chaims Kopf, und er seufzte und schloß die Augen. „Vielen Dank, Kwatern sowohl der Dämonen als auch der Engel.“ Die Tür öffnete sich zu einer mit Plastikpapier bestreuten Plattform, aber Chaim machte keine Anstalten auszusteigen. Ein paar Leute eilten vorbei. Er betete. Vielen Dank, sagte sich Chaim. Gönne mir einen Augenblick Ruhe. Ein vertrautes Gesicht kam ihm in den Sinn und löste sich vor seinem geistigen Augen auf. Es war Dvora. Ihre tiefliegenden Augen waren in die Höhlen ihres knochigen Gesichts eingesetzte winzige blaue Steine. Er träumte, daß sie auf der Glasbrüstung lag. Sie wartete auf ihn, atmete in kurzen Stößen und bot ihren wurmblassen Körper dem kühlen Wind dar. Es würde keinen Aufschub geben.
    „Aber das ist doch alles Einbildung“, rief Chaim in die Luft. Das ist genauso unecht wie ein Telefex oder ein Einhaker, dachte er. Ich ziehe das aus dem Schmutzhaufen meiner fleischlischen Gedanken und Erfahrungen. Aber sie sind nicht wirklich. (Doch, sie sind es.) Ich schmachte nach Vergessen. (Gott wird dich strafen. Lügner.)
    Eine Gruppe von Kindern mit knielangen Kaftanen, kahlgeschorenen Köpfen, aber unangetasteten Schläfenlocken, die alle Jarmules oder schwarze Hüte trugen, waren auf dem Heimweg vom Chejder, wo sie den Vormittag mit Thora-Studien verbracht hatten. Sie grölten und sangen. Schrille Stimmen widerhallten. Durchsichtige Wände wurden Geräuschspiegel.
    „Hört damit auf“, sagte Chaim. „Das ist Sünde.“ Ihre Echos würden ihre zarten Seelen auflösen.
    „Bim bam, bim bam“, sangen sie. „Schlaf gut in der Nacht…“
    „Und lern die Thora bei Tag. Dann wirst du ein Rabbi…“
    „Wenn du graue Haare hast.“
    Sie gingen an Chaim vorbei. Für jeden Schritt, den sie machten, so besagte die Legende, müßten ihre Aufseher oder Beobachter ein Jahr in der Hölle braten. Technisch war Chaim in diesem Augenblick ein Beobachter. Deshalb schloß er die Augen, aber die Kinder hatten schon mindestens fünf Schritte gemacht. Sie sollten mit Schatten

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