Das Zeit-Tippen
waren sie alle befleckt. Sie würden die Sünden jedes anderen teilen. Sie würden immer aneinander gefesselt sein. Der Baalschem würde niemals ein Märtyrer werden. Chaim konnte fast die Gedanken eines jeden hören.
„Masseltow“, sagte der Baalschem. „Der Schabbes ist angebrochen.“
Aber Chaim und die anderen waren eingeschlafen. Der Baalschem gab endlich seiner Schwäche nach und fiel in Ohnmacht. Die „Königin-Braut“ des Sabbats würde von Schläfern beim Trompetengeschmetter der Schnarcher ins Shtetlfive geführt werden.
Die Spuren bemalter Zähne
Faro ging auf der Feuerleiter voran. Die Gasse unten war still. Es war zu früh für rege Betätigung. Später würde es zu warm sein. Ein paar Obdachlose schliefen in Hauseingängen und auf dem Trottoir. Die Abfälle, die die Straße bedeckten, dienten ihnen als weiche, feuchte Matratzen. Faro wählte sich einen Schläfer aus, der sich einen schmutzigen Filzhut über die Ohren gezogen hatte und dem ein Zigarettenstummel aus einem Mundwinkel hing. Faro sprang über ihn hinweg, gab ihm einen Fußtritt und entriß ihm den Hut. Der Mann schnarchte und wälzte sich herum, wobei er den Zigarettenstummel in seinen Kinnfalten auffing.
Doug, der etwas verkrüppelt war, sprang hinter Faro herunter. Faro hatte nichts dagegen; er beschleunigte seine Schritte und schleuderte den Hut durch eine zerbrochene Fensterscheibe. Doug fiel weiter zurück und bat Faro, langsamer zu gehen. Faro wich ein paar Leuten aus, die an ihm vorbeieilten. Eine umgestürzte Laterne blockierte die Straße, die schon mit verrosteten Autowracks besät war. Faro verlangsamte seine Schritte und achtete auf die Glasscherben. Eine davon könnte ohne weiteres durch seine abgelatschten Sohlen dringen.
„Wann sind wir zurück?“ fragte Doug. „Gestern abend konnte ich nichts essen. Es war nichts da. Ich muß versuchen, etwas Eßbares aufzutreiben. Geht das?“
Faro beantwortete seine eigene Frage. „Wir werden von jetzt an zusammenbleiben. Vielleicht sogar die Stadt verlassen. Uns zusammen etwas zu essen beschaffen. Aber wir werden das kriegen, was wir wollen, alles, was wir wollen. Es wird nie mehr so werden wie bisher.“
„Wie bisher?“ fragte Doug.
„So wie es jetzt um uns steht. Wenn du ein Flugzeug sein willst, wirst du ein Flugzeug sein. Oder ein Stück Holz. Das kannst du jetzt nicht, nicht ohne Dorcas’ Hilfe. Das wird sich ändern, das wirst du schon sehen.“
Sie stießen auf Bennie, der auf der Freitreppe der „Primitiven Kirche von Christus“ schlief, einem niedrigen modernen Gebäude, das sich zwischen zwei zehnstöckigen Hochhäusern zu verkriechen schien. Beide Gebäude neben der Kirche waren zerbombt worden, und die Trümmer lagen auf dem Kirchendach: Haufen von rußgeschwärzten Wasserspeiern.
Bennie ist so klug, im Freien zu bleiben, dachte Faro und erinnerte sich, daß er einmal in einem Keller eingesperrt worden war. Er zählte vier Fluchtwege.
„Ich komme nicht mit“, sagte Bennie.
„Warum nicht?“ fragte Faro, aber Bennie streckte ihm nur die Zunge heraus und machte eine lange Nase.
„Komm schon“, wimmerte Doug.
Es hat keinen Sinn, mit ihm zu argumentieren, dachte Faro, als er kehrtmachte und fortging. Doug würde ihm folgen. Bennie ist stark, dachte Faro und unterdrückte den Drang, sich umzudrehen. Das würde alles verderben. Bennie rief ihnen gutmütige Obszönitäten nach und quiekte.
Faro schloß alles hinter sich aus, einschließlich Doug, und konzentrierte sich auf das Klappern seiner Absätze auf dem Pflaster. Doug holte ihn ein und übertrieb sein Humpeln noch mehr als sonst. Er plapperte drauflos, mal lächelnd, mal stirnrunzelnd.
Faro malte sich aus, wie er Bennie an den Hoden die Kirchentreppe herunterzerrte. Er quetschte sie kräftiger und sang vor sich hin: „An den Eiern, an den Eiern“, während er etwas in sich selbst zu entfachen versuchte. Er spürte eine Aufwallung der Kraft und bekam einen roten Kopf. Bennie schrie und stürzte eine Stufe hinunter.
Na, du Lahmarsch, komm dann mit, dachte Faro. Doug schrie, aber Faro hörte nicht hin. Er gab Bennie einen Drall und noch einen, aber der hatte seine eigene Kraft wiedergewonnen und behauptete seine Stellung. Bennie stieß, die Augen konzentriert geschlossen, Obszönitäten aus. Faro versuchte es nochmals, aber Bennie war zu stark. Aber das ist ungerecht, dachte Faro, ich sollte stärker sein. Nun mußte ihn Dorcas später abholen. Faro stellte Doug ein Bein, schämte
Weitere Kostenlose Bücher