Das Zeit-Tippen
aufzubrechen. So lange konnten sie nicht zu ihm gelangen.
Er rückte einen Stuhl in die Mitte des Zimmers, setzte sich hin, stellte den Karton auf den Boden und öffnete ihn dann gierig. Alle Männer im anderen Zimmer sehen gleich aus, dachte Chaim. Aber sie sind nur klägliche Abbilder von mir. (Mach die Tür auf.)
Chaim schaute in den Karton. Beeilt euch, Dibbuks, dachte er. Bringt es hinter euch. Seine Körperteile verkrallten sich ineinander. Geisteseiter. Ich bin voll davon. Ich werde platzen. Befreit mich. (Mach die Tür auf.)
Die Puppen verschmolzen zu einem grauen Lehmklumpen. Seine Form änderte sich, als Chaim ihn anstarrte. Er wurde zu einem menschlichen Gesicht. (Laß das jetzt.) Es ist nur eine Maske, dachte Chaim. Warte. Der Mund stand offen, Lippen strafften sich über blauem Zahnfleisch. (Laß das.)
Chaim sah das, was er sehen wollte: sein blutloses, lebloses Gesicht. Gib es zurück, dachte er. Aber es konnte keine Befreiung geben. Seine Seele schlüpfte in den offenen Mund des Dibbukfleisches. Er könnte nicht mehr zu sich zurückgelangen. Er würde im Dibbukmund steckenbleiben.
Zitternd und weinend versuchte er, die dunklen Dinge zu bekämpfen, die an seinen Gedanken und Erinnerungen saugten. Aber er hatte sich schon zu sehr verloren. Ich kann nicht draußen bleiben. (Dann mach die Tür auf.)
Ich kann nicht.
„Schnell, entfernt ihn, bevor er sich besudelt“, sagte der Baalschem „von diesem Ding.“ Die Schiebetür klemmte in einem seltsamen Winkel, und die Männer mußten die Bäuche einziehen, um sich hindurchzuzwängen. Fruma und die anderen Frauen schauten vom anderen Zimmer aus zu. Die Männer hoben Chaim von seinem Stuhl hoch und zwangen ihn zu stehen.
„Kannst du mich hören, Chaim?“ fragte der Baalschem.
„Ja“, sagte Chaim. Sein Herz schlug schneller. Ein Fleck des Guten wurde größer, dann wurde er von fremden Gedanken verschlungen. Chaim träumte von Fruma, davon, wie sie roch und welche Laute sie von sich gab. FrumaDvora. Zusammen keuchend. Wie er. Sie riechen wie ich. Sie schmecken wie ich. Er streckte die Hand nach Fruma aus, konnte aber nur sich selbst finden.
Der Baalschem begann zu beten. Er wiegte sich auf seinen Fersen vor und zurück, sang und hob die Augen zur Decke. „Wir müssen die Dibbuks aus ihm herausziehen“, sagte er zu den anderen Männern, die, die Hände vor den Augen, beteten. „Ihr braucht keine Angst zu haben. Schaut sie euch an. Vernichtet sie. Wir werden sie in uns aufnehmen, aber mit Gottes Hilfe sind wir stark.“
Während die Männer in den Karton schauten, las der Baalschem den 91. Psalm vor. Anfangs klangen seine Worte laut und klar, aber als er fortfuhr, begann er zu stammeln. Er klammerte sich an seinen Gebetsmantel, bis seine Handknöchel rot wurden. „Schaut sie euch an“, flüsterte er den anderen zu, als er sich vorbeugte, um in den Karton zu starren. „Zieht sie heraus. Gott wird euch schützen.“
Chaim konnte die Anwesenheit eines jeden fühlen. Er versuchte zu beten, aber seine Kiefer blieben geschlossen, und die Worte verwirrten sich in seinem Verstand. Der Dibbukfleischklumpen veränderte sich. Manchmal sah er wie das Gesicht des Baalschem aus, freilich sündhaft und lüstern, und ein andermal sah er wie Rabbi Ansky aus, verängstigt und bemüht, eine Frau zu werden. Chaim konnte die Gesichter all der anderen in dem Lehmklumpen erkennen. Er kannte ihre Ängste und Gedanken. Yudel spuckte Blut, und Yussel versuchte, vor einem Mann davonzulaufen, den er haßte. Die anderen erstickten still an den Erinnerungen eines jeden.
„Er wird dich mit seinen Fittichen decken, und deine Zuversicht wird sein unter seinen Flügeln.“
„Hilf mir, Mayer Ansky“, sagte der Baalschem, als er das heilige Buch fallen ließ. Aber der Rabbi konnte, wie die übrigen Männer, nur katatonisch in den Karton starren.
„Ich will ihn sättigen mit langem Leben“, sagte Chaim. Er mußte sich jedes Wort abringen.
„… und will ihm zeigen mein Heil“, intonierte der Baalschem.
„Dibbuks“, rief der Baalschem, „räumt die Körper von Chaim Lewis und der anderen Mitglieder dieses heiligen Minjan. Im Namen des Allerheiligsten, weicht und findet ewige Ruhe.“
Der Lehmklumpen änderte die Farbe. Er würde bald zu Staub verfallen. Chaim fühlte, wie die Dunkelheit seinen Verstand verließ, aber die schmerzlichen Erinnerungen blieben stark. Die anderen hatten die Dibbuks vernichtet, indem sie Chaims Sünden zu ihren eigenen machten. Jetzt
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