Das Zeit-Tippen
jetzt wohler?“
Sie hatte es ihm angetan; das war ihm bisher noch nie passiert. Ein großer Kellner störte ihn mit der Frage, ob er Cocktails zu bestellen wünsche, aber Esme bat statt dessen um ein Narcodrin.
„Es tut mir leid, Madam, aber auf dem Schiff werden weder Narcodrine noch Inhalatoren verkauft.“
„Aber eben das will ich haben.“
„Man müßte den Steward nach moderneren Erfrischungen fragen.“
„Sie haben gesagt, daß Sie in der Vergangenheit leben möchten“, sagte Stephen. Er bestellte einen Campari für sie und einen Drambuie für sich.
„Im Augenblick hätte ich es lieber, daß ein Roboter meine Bestellung entgegennähme“, sagte Esme.
„Es tut mir leid, aber wir haben auch keine Roboter hier an Bord“, sagte der Kellner, ehe er sich abwandte.
„Zeigen Sie mir jetzt, was in diesem Kästchen ist?“ fragte Stephen.
„Es könnte Aufsehen erregen, wenn ich es hier öffnete.“ Esme lächelte und zwinkerte jemandem vier Tische weiter zu. „Ist er nicht goldig?“
„Wer?“
„Der kleine Junge mit dem schwarzen Haar und dem Mittelscheitel.“ Sie winkte ihm zu, aber der Junge ignorierte sie und machte eine obszöne Gebärde zu einer Frau, die wie seine Gouvernante aussah. Dann öffnete Esme das Kästchen, was die Aufmerksamkeit des kleinen Jungen auf sich lenkte. Sie holte den lebensgroßen Kopf eines Mannes heraus und legte ihn behutsam neben das Kästchen.
„Mein Gott“, sagte Stephen.
„Stephen, ich möchte Ihnen Poppa vorstellen. Poppa, das ist Stephen.“
„Wer ist Stephen?“ sagte Poppa. „Wo bin ich? Warum geht das weiter? Ich habe Angst.“
Esme beugte sich zu dem Kopf und flüsterte ihm etwas ins Ohr. „Er ist manchmal etwas durcheinander, wenn er aufwacht“, vertraute sie Stephen an. „Er ist noch nicht daran gewöhnt. Aber gleich kommt er zu sich.“
„Ich fürchte mich“, sagte Poppa lauter. „Ich bin im Dunkeln allein.“
„Nicht mehr“, sagte Esme bestimmt. „Poppa, das ist mein Freund Stephen.“
„Hello, Poppa“, sagte Stephen linkisch.
„Hello, Stephen“, sagte der Kopf. Seine Stimme klang nun kräftig, herrisch. „Es freut mich, Sie kennenzulernen.“ Er rollte mit den Augen und sagte dann zu Esme: „Dreh mich ein Stückchen herum, damit ich deinen Freund besser sehen kann, ohne meine Augen anstrengen zu müssen.“ Der Kopf hatte weißes Haar, das an den Enden etwas vergilbt war. Es war an den Seiten ordentlich geschnitten und hing ihm in ziemlich schütteren Ponys in die Stirn. Sein Gesicht war kräftig, wenn auch verlebt. Es war das Gesicht eines Mannes Ende Sechzig, gefurcht und verwittert.
„Eigentlich heiße ich Elliot“, sagte der Kopf. „Nennen Sie mich bitte so.“
„Hello, Elliot“, sagte Stephen. Er hatte zwar schon von solchen Dingen gehört, aber noch nie so etwas gesehen.
„Die werden in den nächsten Monaten in Mode kommen“, sagte Esme. „Sie sind noch nicht auf dem breiten Markt erhältlich, aber Sie können sich sicher ihre Anziehungskraft sowohl für Erwachsene als auch für Kinder vorstellen. Sie können zu sehr realistischem Reden und Handeln programmiert werden.“
„Das sehe ich“, sagte Stephen.
Der Kopf lächelte bei diesem Kompliment.
„Er lernt und denkt auch recht gut“, fuhr Esme fort.
„Das will ich hoffen“, sagte der Kopf.
„Lebt Ihr Vater noch?“ fragte Stephen.
„Ich bin ihr Vater“, sagte der Kopf mit ungehaltener Miene. „Zolle mir wenigstens etwas Respekt.“
„Sei höflich, Poppa, sonst schließe ich dich ein“, sagte Esme pikiert. Sie sah Stephen an. „Er ist vor kurzem gestorben. Deshalb mache ich diese Seereise, ja, deshalb…“ Sie nickte dem Kopf zu. „Er ist immerhin wunderbar. Er ist in jeder Hinsicht mein Vater.“ Boshaft fügte sie hinzu: „Nun ja, ich habe einige Veränderungen vorgenommen. Poppa war sehr anspruchsvoll.“
„Du bist undankbar…“
„Halt den Mund, Poppa.“
Poppa schloß die Augen.
„Das ist alles, was ich zu sagen habe“, sagte Esme, „und er schaltet sich von selbst aus.“
Der kleine Junge, der unverfroren zugeschaut hatte, kam zu dem Tisch, als Esme gerade Poppa in das Kästchen zurücklegte. „Warum legen Sie ihn weg?“ fragte er. „Ich möchte mit ihm reden. Holen Sie ihn wieder heraus.“
„Nein“, sagte Esme fest, „er schläft jetzt. Und wie heißt du?“
„Michael, und darf ich bitte den Kopf sehen, nur ganz kurz?“
„Wenn du willst, Michael, kannst du morgen eine Privataudienz mit Poppa haben“,
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