Das Zeit-Tippen
nützen. Ich bin ein internationaler Held, wenn Sie es wissen wollen. Diese Frau mit der Kamera im Haar hat mich schon für eine Umfrage interviewt.“ Er zog den Vorhang zu.
„Wen meint er damit?“ fragte Esme.
„Die Reporterin von Interfix“, sagte Stephen.
Michael machte den Vorhang wieder auf. „Ihr Job ist es zu erraten, welche Passagiere sich fürs Sterben entscheiden und warum. Sie interviewt die interessantesten Passagiere, macht dann ihre Voraussagen für ihre Zuschauer, und davon hat sie viele. Sie antworten sofort auf die Umfragen, die täglich mehrmals stattfinden. Das prägt uns ihrem Gedächtnis ein, und jeder liebt den Geruch des Todes.“ Der Vorhang schloß sich wieder.
„Also mich hat sie noch nicht zu interviewen versucht“, sagte Esme schmollend.
„Möchten Sie, daß sie das tut?“
„Warum nicht? Ich bin für offenen Konsum und wünsche diesem Experiment viel Erfolg. Mein Gott, laß doch die ganze Welt unseren Untergang mit ansehen, wenn sie das wollen. Sie können genausogut Wetten darüber abschließen.“ Dann flüsterte sie verschwörerisch: „Keiner von uns weiß, wer sich wirklich fürs Sterben entschieden hat. Das ist ja gerade das Aufregende daran.“
„Vermutlich“, sagte Stephen.
„Ach, du bist so pingelig“, sagte Esme. „Man könnte meinen, daß du ein Aktivist bist.“
„Ein was?“
„Ein Aktivist. Alle von uns sind entweder Aktivisten oder Voyeure, stimmt das nicht? Aber den Aktivisten geht es ums Geschäft.“ Und um das zu verdeutlichen, reckte sie den Hals, streckte die Zunge heraus und gab ein Gurgeln von sich, als ertränke sie. „Den Voyeuren geht es dagegen um die Sache an sich. Bist du sicher, daß du kein Aktivist bist?“
Michael, der wieder gelauscht hatte, sagte in bezug auf Stephen: „Er ist kein Aktivist, das möchte ich wetten! Er ist ein Voyeur von der schlimmsten Sorte. Er nimmt alles zu ernst.“
„Schluß jetzt mit der Respektlosigkeit von euch beiden“, sagte Poppa pompös. „Michael, hör auf, Stephen zu triezen. Esme sagte, sie liebt ihn. Esme, sei nett zu Michael. Er hat gerade den Tag für mich anbrechen lassen. Und du brauchst nicht damit zu drohen, mich auszuschalten. Ich schalte mich selbst aus. Ich muß über etwas nachdenken.“ Poppa schloß die Augen.
„Also, das hat er noch nie getan“, sagte Esme zu Michael, der nun möglichst breitbeinig vor dem Bett stand. „Meistens hat er solche Angst davor, Angst zu haben, wenn er aufwacht. Was hast du zu ihm gesagt?“
„Och, nichts Besonderes.“
„Komm schon, Michael, hast du vergessen, daß ich dich hereingelassen habe?“
„Nein. Darf ich zu Ihnen ins Bett kommen?“
„Nein“, sagte Stephen.
„Er ist doch noch ein Kind“, sagte Esme, während sie zur Seite rückte, um Michael Platz zu machen, der zwischen ihr und Stephen hinaufkletterte. „Sei kein Spielverderber. Du bist der Mann, den ich liebe.“
Stephen rückte näher an Esme heran, um Michael ins Bett zu lassen. Sie unterhielten sich über die Seelenwanderung. Michael glaubte fest daran, aber Esme fand das alles zu konfus. Stephen hatte keine eigene Meinung.
Endlich gelang es ihnen, Michael beim Mittagessen abzuschütteln. Esme schien sich sehr darüber zu freuen, den Jungen los zu sein, und sie verbrachten den Rest des Tages damit, das Schiff zu erforschen. Sie sprangen kurz ins Schwimmbad, aber das Wasser war zu kalt, und draußen war es kühl. Wenn das lenkbare Luftschiff über ihnen schwebte, so konnten sie es nicht sehen, denn dicke graue Wolken bedeckten den Himmel. Sie zogen sich um, schlenderten über das glasgeschützte untere Promenadendeck, hielten nach den gelegentlich auftauchenden fliegenden Fischen Ausschau und verbrachten eine interessante halbe Stunde damit, sich von der Frau von Interfix interviewen zu lassen. Dann nahmen sie in dem luxuriösen Rauchsalon I. Klasse eine Kleinigkeit zu sich. Esme liebte die Spiegel und bunten Glasfenster. Nachdem sie die II. und die Touristenklasse erkundet hatten, überredete Esme Stephen zu einer kurzen Partie Squash, das er recht gut spielte. Gegen Abend gingen sie in das prunkvolle, blaugekachelte Türkische Bad. Es war leer und heiß, und sie liebten sich zärtlich, aber erschöpfend auf einer der caesarischen Liegen. Danach zogen sie sich nochmals um, tanzten im Foyer und soupierten im Cafe.
Er verbrachte die Nacht mit Esme in ihrer Suite. Ungefähr gegen vier Uhr morgens weckte ihn ein gedämpftes Gespräch. Er zog es vor, sich nicht
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