Das Zeit-Tippen
kleine, gerade Nase, feuchte braune Augen, die unter gezupften, gewölbten Brauen herauslugten, und einen Mund, der etwas zu üppig war. Ihr blondes Haar war, wenn auch sauber, flüchtig gebürstet und zu einem Knoten hochgebunden worden.
Stephen fand sie schön.
„Hello“, sagte er. Bunte Bänder und Luftschlangen ringelten sich durch die Luft, und alles schien möglich zu sein.
Sie sah ihn an. „Hello, Sie“, sagte sie.
„Wie bitte?“
„Ich sagte ,Hello, Sie‘. Dieser Ausdruck war in Mode, als dieses Boot zum erstenmal auslief, wenn Sie es wissen wollen. Es bedeutet: »Hello, ich glaube, ich bin an Ihnen interessiert und ziehe es in Betracht, mit Ihnen zu schlafen, wenn mir danach ist.“
„Sie müssen nicht Boot, sondern Schiff sagen“, sagte Stephen.
Sie lachte und musterte ihn einen Augenblick scharf, als durchschaute sie ihn in dieser Sekunde völlig – daß er diese Seereise machte, weil ihn sein Leben langweilte, weil er noch nie etwas Wirkliches mitgemacht hatte. Er fühlte, daß er einen roten Kopf bekam. „Na schön, also ,Schiff‘, fühlen Sie sich jetzt wohler?“ sagte sie. „Auf alle Fälle möchte ich so tun, als lebte ich in der Vergangenheit. Ich möchte nie mehr in die Gegenwart zurückkehren. Ich nehme an, daß Sie das wohl wollen.“
„Wie kommen Sie darauf?“
„Sehen Sie sich nur an, wie Sie angezogen sind. Sie sollten auf diesem Schiff moderne Sachen tragen. Wissen Sie, Sie müssen sich nachher umziehen.“
Sie selbst war tadellos gekleidet, hatte einen pastellblauen Straßenrock mit dazu passender Jacke, eine samtverbrämte Plisseebluse an und einen Hut mit einer Straußenfeder auf. Sie sah so aus, als wäre sie einem anderen Jahrhundert entstiegen.
„Wie heißen Sie?“ sagte er.
„Esme.“ Sie drehte das Kästchen, das sie auf der Reling festhielt, um und öffnete die dem Kai zugewandte Seite.
„Siehst du“, sagte sie zu dem Kästchen, „wir sind wirklich da.“
„Was haben Sie gesagt?“ fragte Stephen.
„Ich habe gerade mit Poppa gesprochen“, sagte sie, während sie das Kästchen zumachte und den Verschluß einklicken ließ.
„Mit wem?“
„Das zeige ich Ihnen später, wenn Sie wollen.“
Glocken begannen zu läuten, und die Schiffssirenen schrillten durch die Luft. Jubelrufe stiegen von dem Kai und von Bord auf, und das Schiff glitt langsam auf die offene See hinaus. Stephen kam es vor, daß sich nicht das Schiff, sondern das Land bewegte. Ganz England trieb friedlich davon, während das Streichorchester auf der Schiffsbrücke Oskar Strauß spielte.
Sie schauten über die Reling, bis das Land zu einer dünnen Linie am Horizont zusammengeschrumpft war, dann nahm Esme seine Hand, drückte sie kurz und eilte davon.
Stephen traf sie im Cafe Parisien wieder, wo sie in einem großen Korbsessel neben einem schmiedeeisernen Gitter saß.
„Oh, hello, Sie“, sagte Esme lächelnd. Sie war der Prototyp einer schicken, stilvollen jungen Lady.
„Heißt das, daß Sie noch immer an mir interessiert sind?“ fragte Stephen, vor ihr stehend. Ihr Lächeln war ansteckend. Stephen spürte, daß er seine Haltung verlor, denn er konnte seinem Grinsen keinen Einhalt gebieten.
„Mais oui“, sagte sie. „Das ist Französisch, das niemand mehr benutzt, aber es war die Sprache der feinen Welt, als dieses Schiff zum ersten Mal auslief.“ Sie entspannte sich plötzlich in ihrem Sessel, rutschte nach unten, als könnte sie sofort wieder ein Kind werden, und schaute sich im Raum um, als wäre Stephen plötzlich verschwunden.
„Ich habe gedacht, es sei Englisch“, sagte er.
„Na, wie auch immer“, sagte sie, zu ihm aufblickend. „Es heißt, daß ich vielleicht noch immer an Ihnen interessiert bin, wenn Sie die Güte hätten, sich neben mich zu setzen, statt mich von oben herab anzuschauen.“ Stephen setzte sich neben sie. „Sie haben lange genug dazu gebraucht, mich zu finden“, sagte Esme.
„Schließlich mußte ich mich umziehen. Erinnern Sie sich? Sie fanden meine frühere Aufmachung…“
„Ich pflichte Ihnen bei und entschuldige mich“, sagte sie hastig, als hätte sie plötzlich Angst, seine Gefühle zu verletzen. Sie verschränkte die Hände hinter dem Kästchen, das sie genau in die Mitte des Tischtuchs aus Damast gestellt hatte. Ihr Bein berührte seins; mit graugestreiften Hosen, Gamaschen, einem schwarzen Gehrock, einer blauen Weste und einer Seidenkrawatte unter einem Stehkragen sah er wirklich elegant aus. „Fühlen Sie sich
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