Das Zeit-Tippen
einen Gang watete. Aber er mußte sich davon überzeugen, daß sie nicht hier unten war.
Das Türkische Bad füllte sich mit Wasser, aber das Licht brannte noch und beleuchtete den Raum gespenstisch. Überbleibsel trieben im Raum herum: blaue Pantoffeln, ein Kamm, Papierfetzen, Zigaretten und mehrere ungesäumte Plastikpäckchen.
Auf der entferntesten Liege saß Esme mit geschlossenen Augen und auf dem Schoß gefalteten Händen, in Gedanken versunken. Sie trug ein schlichtes weißes Kleid. Überglücklich rief er sie. Sie zuckte zusammen, blickte verwirrt drein und watete wortlos zum anderen Ausgang, wobei sie die Hände ins Wasser tauchte, als wollte sie ihren Gang beschleunigen.
„Esme, wohin gehst du?“ rief Stephen und folgte ihr. „Lauf nicht vor mir davon.“
Eine Explosion warf sie beide ins Wasser, und eine Wand gab nach. Eine Wassermasse stürzte in den Raum, traf Stephen, tauchte ihn unter und spülte ihn fort. Er kämpfte, um wieder an die Oberfläche zu gelangen, und versuchte zurückzuschwimmen, um Esme zu finden. Eine Deckenlampe brach ab und verfehlte ihn nur knapp. „Esme“, rief er, aber er konnte sie nicht erblicken. Dann wurde er, dem Ersticken nahe, von dem Wasser durch einen Gang und von ihr fortgeschwemmt.
Schließlich gelang es Stephen, sich an den Eisenknauf eines Geländers zu klammern und sich auf eine trockene Stufe hochzuziehen. Es erfolgte noch eine Explosion, der Boden stürzte ein. Er schaute hinab auf das Wasser, das den Gang, das Türkische Bad, das ganze Deck überschwemmte, und schrie verzweifelt nach Esme.
Das Schiff erbebte, dann war alles still. In den großen Räumen hingen Kronleuchter schief; Tische und Stühle schlitterten über den Boden und schienen sich wie Holztiere an den Wänden zusammenzupferchen. Das Licht brannte noch, als wäre bis auf die Schwerkraft, die sich danebenbenahm, alles in Ordnung. Stephen ging und kletterte weiter, verfolgt vom Seewasser, wie in einem Traum.
Benommen erreichte er wieder das Oberdeck. Ein Teil davon war schon überspült. Fast alle hatten sich zum Heck zurückgezogen und stiegen höher, je tiefer der Bug ins Meer tauchte.
Die Rettungsboote sowie die Besatzung waren verschwunden. Nur einige Männer und Frauen schufteten über den Offizierskajüten wie besessen, um die Faltboote C und D auszusetzen, ihre einzige Chance, das Schiff zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen.
„He“, rief Stephen ihnen zu, der gerade wieder zu sich kam. „Brauchen Sie da oben noch Hilfe?“
Diejenigen, die eines der losgemachten Faltboote durch eine Dachluke hinabstießen, achteten nicht auf ihn. Jemand rief: „Verdammt!“ Das Boot war kieloben auf dem Wasser gelandet.
„Besser als nichts“, rief eine Frau und sprang mit ihren Freundinnen hinter dem Boot her.
Stephen fröstelte; er war noch nicht bereit, in das eiskalte Wasser zu springen, obwohl er wußte, daß ihm nicht mehr viel Zeit blieb und er vom Schiff fortgelangen mußte, ehe es sank. Alle, die auf dem Schiff oder in seiner Nähe waren, würden mit in die Tiefe gerissen. Er ging zur Steuerbordseite hinüber, wo einige Männer sich abmühten, das Boot zum Rand des Decks zu schieben. Das Schiff hatte schwere Schlagseite.
Diesmal packte Stephen einfach mit an. Niemand protestierte dagegen. Sie versuchten das Boot über den Rand der Planken gleiten zu lassen. All diese Leute strotzten vor Gesundheit – Stephen bemerkte, daß über die Hälfte von ihnen Frauen waren, die die gleichen warmen Mäntel trugen wie die Männer. Das ist für sie alle nur ein Spiel, das ihnen Spaß macht, dachte er. Jeder will so oder so die ungleiche Wette gewinnen; der große Reiz besteht darin, das Schicksal zu überlisten, sich fürs Sterben zu entscheiden und doch zu überleben.
Aber dann stand die Kommandobrücke unter Wasser.
Es erfolgte ein fürchterliches Krachen, und Stephen rutschte über den Boden, als alles schwankte. Alle schrien. „Sie geht unter!“ kreischte jemand. Tatsächlich kippte das Heck nach oben. Die Lichter flackerten. Es erfolgte ein Getöse, als das Schiffsinnere barst und Ankerketten sowie die gewaltigen Maschinen und Heizöfen herausgeschleudert wurden. Einer der riesigen schwarzen Schornsteine stürzte um und klatschte funkensprühend ins Wasser. Aber das Schiff war noch immer hell erleuchtet, jede Luke stand in Flammen. Das Krähennest vor ihm war schon fast gesunken, aber Stephen schwamm trotzdem darauf zu. Dann hielt er inne und versuchte, hastig von dem Schiff
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