Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)
Asendorf, Düsseldorf/Wien 1981, S. 127.
163 Gogh, V. van, Briefe an seinen Bruder , hg. von J. G. van Gogh-Bonger, Bd. 2, Frankfurt am Main 1988, S. 715 (Brief 416).
164 Gogh, V. van, Briefe an seinen Bruder , hg. von J. G. van Gogh-Bonger, Bd. 3, Frankfurt am Main 1988, S. 380 (Brief 539).
165 Vincent van Gogh zitiert nach Hughes, Der Schock der Moderne , S. 273.
166 Hughes, Der Schock der Moderne , S. 273–276.
167 Zeki, S., Glanz und Elend des Gehirns , übers. von U. Bischoff, München 2010, S. 48.
KAPITEL 21
UNBEWUSSTE EMOTIONEN, BEWUSSTE GEFÜHLE UND IHRE ÄUSSERUNG DURCH DEN KÖRPER
W ir haben gesehen, dass Künstler wie Gustav Klimt, Oskar Kokoschka und Egon Schiele Gefühle durch Gesichtsausdrücke, Blicke, Hand- und Körpergesten sowie Farbgebung vermitteln. Ihr Ansatz stellt die moderne Neurowissenschaft der Emotionen vor eine Frage, die sowohl Sigmund Freud als auch die österreichischen Expressionisten beschäftigt hat: Welche emotionalen Aspekte sind bewusst und welche sind unbewusst? Dank der Entwicklung bildgebender Verfahren und anderer Methoden, mit denen sich das Gehirn direkt untersuchen lässt, können wir nun fragen: Sind bewusste und unbewusste Gefühle im Gehirn unterschiedlich repräsentiert? Dienen sie unterschiedlichen Zwecken und drücken sie sich auf verschiedene Weisen durch den Körper aus?
Fast bis zum Ende des 19. Jahrhunderts glaubte man noch, ein Gefühl werde in einer ganz bestimmten Abfolge von Ereignissen erzeugt. Zuerst erkenne eine Person ein furchteinflößendes Ereignis – zum Beispiel das Näherkommen eines großen und kräftigen Mannes mit zornigem Gesicht und einem Stock in der Hand. Diese Erkenntnis löse in der Großhirnrinde eine bewusste Erfahrung aus – Angst –, die wiederum unbewusste Veränderungen im vegetativen Nervensystem bewirke. Das führe dann zu einem schnelleren Puls, verengten Blutgefäßen, erhöhtem Blutdruck und feuchten Handflächen. Zusätzlich schütteten die Nebennieren Hormone, etwa Adrenalin, aus.
Im Jahre 1884 stellte William James diese Annahmen in einem Aufsatz mit dem Titel »What Is an Emotion?« auf dramatische Weise auf den Kopf. Diese Erörterung der Emotionen fand 1890 auch Eingang in James’ berühmtes Buch The Principles of Psychology . Darin fasste er die bedeutendsten Ideen über Gehirn, Geist, Körper und Verhalten zusammen, die man bislang formuliert hatte, und setzte sich mit ihnen auseinander. Zu seinen zahlreichen Leistungen gehörte die tiefgehende Erkenntnis, dass das Bewusstsein keine Substanz, sondern ein Prozess ist.
James erforschte, wie unser Körper auf ein emotional besetztes Objekt oder Ereignis reagiert und wie unser Gehirn die Reaktion des Körpers liest – er sprach von der Umwandlung eines »einfach erfassten [wahrgenommenen] Objekts« in ein »emotional empfundenes Objekt«. 168 Diese psychologischen Einsichten aus dem 19. Jahrhundert sind für die Biologie der Emotion im 21. Jahrhundert von grundlegender Bedeutung. Antonio Damasio sagte zu James’ Erkenntnissen über den menschlichen Geist »[In The Principles of Psychology ] hat William James, der die menschliche Seele kannte wie außer ihm wohl nur Shakespeare und Freud, eine wahrhaft verblüffende Hypothese über das Wesen von Gefühlen vorgelegt.« 169
James gelang die bedeutende Einsicht, dass nicht nur das Gehirn dem Körper Informationen übermittelt, sondern – und das ist ebenso wichtig – der Körper auch dem Gehirn. Er behauptete, die bewusste, oder kognitive, Erfahrung eines Gefühls erfolge nach der physiologischen Reaktion des Körpers. Wenn wir also in eine potenziell gefährliche Situation geraten – ein Bär sitzt mitten auf unserem Weg –, beurteilen wir nicht zuerst bewusst die Angriffslust des Bären und empfinden dann Angst. Vielmehr reagieren wir zunächst rein instinktiv und unbewusst auf den Anblick des Bären – wir stürzen Hals über Kopf davon – und empfinden erst später bewusste Angst. Wir unterziehen einen emotionalen Reiz also, mit anderen Worten, zuerst einer Bottom-up-Verarbeitung. Das bedeutet, dass sich Puls und Atemfrequenz beschleunigen und uns veranlassen, vor dem Bären zu fliehen. Danach wird der emotionale Reiz einer Top-down-Verarbeitung unterzogen – wir analysieren die mit unserer Flucht verbundenen physiologischen Veränderungen kognitiv.
James schrieb dazu:
Würden die körperlichen Zustände nicht mit der Wahrnehmung einhergehen, so bliebe Letztere von rein kognitiver Art, bleich,
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