Das Zeitalter der Fuenf 01 Priester
ohne Hast und mit großer Behändigkeit zu bewegen.
Doch als sie ihm in die Augen blickte, sah sie, dass diese Ruhe nur ein äußerer Eindruck war. Seine Augen flackerten, und er wandte den Blick von ihr ab, versuchte von neuem, sie anzusehen, aber auch diesmal währte der Kontakt nur einen kurzen Moment. Sie zögerte, dann schaute sie genauer hin. In seinen Gedanken rannen Furcht und Hoffnung.
Sie war froh darüber, dass sie auf einem Treffen unter vier Augen bestanden hatte. Dyara hatte ihre Arbeit wie immer überwachen wollen, aber Auraya vermutete, dass die Anwesenheit einer anderen Weißen Leiard einschüchtern würde. Vor allem wenn es sich bei dieser Weißen um eine Frau handelte, die bei der bloßen Erwähnung von Traumwebern nichts als tiefste Missbilligung verströmte.
Nachdem sie ihn eine Weile beobachtet hatte, sah sie, dass die Hoffnung die Schlacht mit der Furcht zu gewinnen schien. Leiard sah in Auraya ein Potenzial zur Veränderung, das die Furcht, die der Tempel in ihm weckte, lohnte. Sie bemerkte, dass sein Vertrauen einzig ihr, Auraya, galt. Er glaubte, dass sie den Traumwebern willentlich keinen Schaden zufügen würde. Ebenso wenig wäre sie glücklich darüber, sollten die anderen Weißen es tun. Sie war für die Traumweber die beste Chance auf Frieden, die sie hatten.
Sie spürte jedoch, dass er nicht restlos davon überzeugt war. Die Zirkler interessierten sich nur für ihre Götter und für sich selbst. Sie verachteten und fürchteten die Traumweber. Er fragte sich, ob er ein Narr war, ihr zu vertrauen. Es war frustrierend, ihre Gefühle nicht wahrnehmen zu können. Sie könnte sich verändert haben, seit sie eine Weiße geworden war. Das Ganze könnte eine Falle sein...
Auraya runzelte die Stirn. Sie hatte schon bei früheren Begegnungen Hinweise darauf gesehen, dass er die Fähigkeit besaß, Gefühle anderer aufzufangen, aber dies war das erste Mal, dass er tatsächlich darüber nachgedacht und ihr damit bestätigt hatte, dass es der Wahrheit entsprach. Früher hatte er diese Fähigkeit nie erwähnt, nicht einmal, als sie noch ein Kind gewesen war.
Also hat er mir damals nicht alles erzählt, dachte sie. Das ist keine Überraschung. Den Dorfbewohnern hätte die Vorstellung nicht gefallen, dass er etwas von ihren Gedanken spüren konnte, und seien es auch nur Gefühle. Ich wüsste doch gern, ob auch andere Traumweber über diese Fähigkeit verfügen.
All das schoss ihr durch den Kopf, während Leiard in den Pavillon hinaufkam. Als er einige Schritte unter ihr stehen blieb und seine Augen auf der gleichen Höhe waren wie ihre, lächelte sie.
»Auraya«, sagte er. »Auraya, die Weiße. So sollte ich dich jetzt anreden, nicht wahr?«
Sie zuckte die Achseln. »Offiziell, ja. Wenn wir unter uns sind, kannst du mich nennen, wie es dir behagt. Außer Stinkatem. Daran würde ich Anstoß nehmen.«
Er zog die Augenbrauen hoch, und ein Lächeln zuckte um seine Lippen. Da sie sah, dass die Staker die Hände vors Gesicht hoben, um ihre Heiterkeit zu verbergen, drehte sie sich um und winkte ihnen.
»Ich danke euch. Könntet ihr in einer Stunde zurückkehren?«
Sie nickten, dann machten sie mit beiden Händen das Zeichen des Kreises. Nachdem sie die Leinen von den Pollern gelöst hatten, stiegen sie wieder in den Kahn, griffen nach ihren Staken und steuerten das Boot flussabwärts.
Auraya trat in den Schatten des Pavillons und war sich dabei sehr deutlich bewusst, dass Leiard ihr folgte.
»Wie geht es dir?«, fragte sie.
»Gut«, antwortete er. »Und dir?«
»Genauso. Besser. Ich bin froh, dass du deine Meinung geändert und die Stadt noch nicht verlassen hast.«
Er lächelte. »Ich bin ebenfalls froh darüber.«
»Wie geht es deinen Gastgebern?«
»Gut. Der Lehrer ihres Sohnes ist im vergangenen Winter gestorben, und er hat keinen Ersatz gefunden. Fürs Erste habe ich diese Aufgabe übernommen.«
Ein kleiner Stich des Neids durchzuckte sie. Oder war es einfach Sehnsucht nach der Vergangenheit? Was immer der Grund auch sein mochte, sie hoffte, dass der Junge begriff, welches Glück er hatte, Leiard als Lehrer zu bekommen.
»Ich hätte gedacht, es müsste innerhalb der Stadt leichter sein, Lehrer zu finden, als außerhalb«, sagte sie. »Hier muss es doch noch mehr Traumweber geben?«
Leiard zuckte die Achseln. »Ja, aber keiner von ihnen war frei, um einen Schüler aufzunehmen. Wir unterrichten nie mehr als einen Schüler, und selbst jene von uns, die gern unterrichten, brauchen ab
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