Das Zeitalter der Fuenf 03 Goetter
sich vielleicht sogar von ihren Göttern abgewandt hatte. Sie würde vielleicht die Seiten wechseln, wenn sie Rache wollte oder eine Rückkehr an die Macht oder wenn ihr die Glaubenswelt der Pentadrianer einfach mehr zusagte.
Wenn sie zu erkennen gab, dass sie unerschütterlich in ihren Überzeugungen war, würde er aufgeben. Aber je eher er das Gefühl hatte, sie für sich gewonnen zu haben, umso eher würde er aufhören, es zu versuchen. In den Höhlen unter dem Sanktuarium waren noch immer siebenundzwanzig Siyee eingekerkert, daher musste sie dieses Spiel noch für weitere achtundzwanzig Tage aufrechterhalten.
Ich muss beeindruckt wirken, aber nicht allzu interessiert. Er muss Widerstand spüren, der jedoch nicht unüberwindlich wirken darf, sagte sie sich. Ich sollte gelegentlich einen Augenblick der Schwäche vortäuschen, um seine Hoffnung zu schüren, dass er mich am Ende doch für seine Sache würde gewinnen können.
Nekaun führte sie einen breiten Flur hinunter, der anscheinend das Untere Sanktuarium mit dem Oberen Sanktuarium verband.
»Ist es wahr, dass die Weißen in Räumen leben, die ebenso schlicht und klein sind wie die ihrer Priester?«, fragte er, und sein allgegenwärtiger Gefährte, Turaan, wiederholte seine Worte auf Hanianisch.
»Schlicht, ja«, antwortete sie. »Klein, nein.«
Es kostete sie ständige Konzentration, nicht zu offenbaren, dass sie Gedanken lesen konnte. Je eher sie ein wenig von der Sprache der Einheimischen lernte, umso besser. Irgendjemand hatte ihr genau das geraten. In Gedanken hörte sie eine vertraute Stimme.
»Du kannst nie wissen, wann dir eine gewisse Kenntnis der einheimischen Sprache einmal von Nutzen sein kann. Vielleicht können diese Kenntnisse dir sogar das Leben retten.«
Danjin hatte das gesagt. Eine leichte Traurigkeit regte sich in ihr. Sie hatte ihn so lange nicht mehr gesehen, und sie vermisste seine Verlässlichkeit und seine Freundschaft.
»Du hast im Weißen Turm gelebt, nicht wahr?«, fragte Nekaun.
»Ja.«
»Leben alle Priester des Tempels im Turm?«
Sie sah ihn zweifelnd an. »Ich habe mich nur bereiterklärt hierzubleiben; es war nicht die Rede davon, dass ich dir Informationen über deine Feinde liefern soll.«
Sein Lächeln wurde breiter. »Verzeih mir. Ich hatte nicht die Absicht, dich auszunutzen. Es interessiert mich einfach. Hier...« Er deutete auf eine schmale Öffnung in der Wand. »Hier ist ein Ort, der uns sehr teuer ist. Der Sternensaal.«
Von Turaan kam eine plötzliche nervöse Erregung, und sie las aus seinen Gedanken, dass dies der wichtigste Huldigungsort der Pentadrianer war. Eine Art Altar. Als Nekaun durch die Öffnung trat, zögerte Auraya. Wie gefährlich konnte der Altar der feindlichen Götter sein? Konnten sie ihr dort etwas antun, dessen sie außerhalb des Altars nicht mächtig waren?
Nekaun hat bei diesen Göttern geschworen, dass mir nichts zustoßen würde, rief sie sich ins Gedächtnis. Und ich habe mich bereiterklärt, zu bleiben und mich herumführen zu lassen. Wenn einer von uns sein Wort bricht, werde ich nicht die Erste sein.
Sie holte tief Luft und folgte Nekaun in einen großen Raum. Die Wände, der Flur und die Decke waren schwarz. Die Wände standen außerdem in merkwürdigen Winkeln zueinander. Sie bemerkte, dass es fünf Wände waren; der Raum war ein Pentagon. Nekaun stand in der Mitte zwischen in den Boden eingelassenen, silbernen Linien. Ein kalter Schauer überlief sie, als ihr klar wurde, dass sie einen riesigen Stern formten.
Sie blickte zu Nekaun auf. »Willst du mich jetzt deinen Göttern vorstellen?«, fragte sie, erfreut zu hören, dass ihre Stimme gelassen klang.
Sein Lächeln, das sonst so bestrickend war, wirkte jetzt seltsam schief. »Nein. Die Götter entscheiden, wann sie erscheinen, nicht ich. Sie sprechen nicht oft zu uns und geben uns nur selten Anweisungen. Wir wissen die Freiheit zu schätzen, uns selbst zu regieren, und sie vertrauen darauf, dass wir unsere Sache gut machen.«
»Wenn sie niemals erscheinen, müssen einige deiner Landsleute daraus den Schluss ziehen, dass sie nicht existieren.«
Er lachte leise. »Ich habe nicht gesagt, dass sie niemals erscheinen. Du glaubst nicht, dass sie real sind, nicht wahr?«
»Ich weiß, dass zumindest einer von ihnen real ist«, erwiderte sie. »Weil ich ihn während des Krieges gesehen habe.«
Er blinzelte überrascht. »Du hast einen unserer Götter gesehen?«
»Sheyr, glaube ich.«
»Er ist nur das eine Mal erschienen.«
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