Das zerbrochene Fenster: Thriller (German Edition)
oder Whisky oder eine Münze … Ich wünsche mir, dass Sean im neuen Jahr derjenige sein wird, der den ersten Fuß über meine Schwelle setzt.«
Erst dachte ich: abergläubischer Mist. Aber dann … Wenn Weihnachten für Pete keine so große Bedeutung hat wie Hogmanay, dann geht es Sean sicher genauso. Und das wiederum könnte doch bedeuten, dass er sich wirklich bis zum Jahreswechsel zurückgezogen hat, um dann mit großem Paukenschlag aufzutauchen.
Würde das zu ihm passen?
Was passt überhaupt zu ihm …
Matt hat mich gefragt, ob ich mich auch in Sean verliebt hätte, wenn ich von Anfang an gewusst hätte, dass er im Gefängnis war. Ehrliche Antwort? Wahrscheinlich nicht. Und es wäre doch ein Fehler gewesen, ihm keine Chance zu geben. Wir hatten eine wunderbare Zeit! (Ich darf nicht immer nur in der Vergangenheit von ihm reden, als sei schon alles für immer vorbei …) Wir passen gut zueinander. Wir verstehen uns ohne viele Worte. Wir lieben uns. Das alles hätte es nicht gegeben, wenn ich gewusst hätte, dass er ein Ex-Häftling ist. Hat nicht jeder eine zweite Chance verdient? Matt würde jetzt sagen: Er hatte seine zweite Chance schon, er saß ja nicht nur einmal ein. Er würde es sagen und lächeln, als wäre es nur so ein Gedanke, eine Überlegung.
Als ich vorhin zur Tür reinkam, lagen da lauter Briefe. Natürlich riss ich sie alle sofort auf (und hoffte, einer von Sean sei dabei, aber da war keiner). In einem Umschlag war ein Infoflyer von einer Vermisstenorganisation. Die anderen sind Weihnachtskarten von Kunden, aber auch von Nachbarn. Eine ist von Professor McLean, sie ist viel persönlicher, viel netter als die Standardwünsche der anderen Kunden. Er hat keine Karte im Geschäft gekauft, sondern offenbar eine eigene entworfen. Vorne klebt ein wunderbarschönes Foto von einem verschneiten schottischen Berg bei strahlendem Sonnenschein, die Schneedecke ist unberührt bis auf ein erstaunlich symmetrisches Muster, das ein Vogel hinterlassen hat. Er schreibt: »Möge das alte Jahr mit seinen Sorgen davonfliegen, und sich mit dem neuen Jahr das Glück einnisten. Alles Gute. Michael.«
Noch eine fällt aus dem Rahmen, sie ist von den beiden Polizisten, aber sie sieht privat aus. Sie wünschen mir »eine gesegnete Weihnachtszeit und ein glückliches neues Jahr«. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Machen sie das immer so? Schicken sie auch Karten an die Hinterbliebenen von Mordopfern? Was schreiben sie denen rein? »Auf bessere Zeiten!«? »Wird schon wieder!«? »Kopf hoch!«? Dürfen sie das überhaupt, privat Verbindung zu mir aufnehmen? Ich weiß, bestimmt haben sie es nur gut gemeint. Ich bin undankbar.
Ich habe alle Karten weggeworfen. Bis auf die von McLean. Mir gefällt das Foto. Ich habe es auf den Kaminsims gestellt. In der Stadt liegt nämlich kein Schnee, hier fällt das Thermometer nicht mal unter null.
Was im Moment auch ganz gut ist. Die Wohnung wird nicht richtig warm. Wir haben zwar eine Zentralheizung, aber sie scheint nicht anzuspringen, und der Kamin ist kein echter Kamin. Am besten gehe ich bei Pete vorbei und wärme mich auf. Er braucht ohnehin Gesellschaft.
Nachtrag:
Ich bin doch nicht zu Pete gegangen. Ich habe mit Simon telefoniert, um zu hören, wie es Dana geht, und weil Simon offenbar mit niemandem in unserer blöden Familie reden kann, hat er sich bei mir ausführlich ausgeheult. Zwei Stunden lang! Wann hab ich zum letzten Mal mit jemandem zwei Stunden telefoniert?
Er rollte noch einmal die gesamte Beziehung zu meiner Schwester auf. Wie er sie kennengelernt hat und warum er sie so sehr liebt und weshalb er sich so große Sorgen um sie macht. Ich weiß immer noch nicht, wie ich ihm sagen soll, dass sich Dana nicht erst in den letzten Jahren verändert hat, sondern schon immer so war. Sie hat sich vielleicht am Anfang der Beziehung mit ihm etwas zusammengerissen. Und vielleicht war sie sogar glücklich, ihre Kaufräusche setzten nämlich wirklich eine Weile aus. Aber irgendwann ging es wieder los. Ich kenne die meisten Geschichten nur aus zweiter Hand, weil ich weg war, ich kann nicht sagen, welche Therapie ihr wann wie geholfen hat und welche Tabletten sich wie auswirken, also hörte ich mir schweigend Simons Vortrag und seine Theorien, was für Dana wohl das Beste wäre, an. Irgendwann musste ich den Faden verloren haben, denn er sprach nicht mehr von Dana, sondern von seinem Verhältnis zu Vater.
»Er traut mir nichts zu!«, sagte er.
»Da bist du in guter
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