Das zerbrochene Fenster: Thriller (German Edition)
über das Jahr nachdenken konnte. Diesmal gelingt es mir nicht.
Matts Jungs merken natürlich, dass mit mir etwas nicht stimmt. Ich glaube, Matt hat ihnen gesagt, mein Freund sei gerade sehr krank und ich deshalb sehr traurig. Sie kennen Sean nicht einmal. Ich mag die Jungs, und ich weiß, dass sie mich mögen. Aber ich mag ihre Mutter nicht, und ich mag den Einfluss nicht, den Vater mehr und mehr auf sie nimmt. Matt kann nichts dagegen tun. Das heißt, er könnte schon, aber er tut es nicht. Dazu müsste er aus Plymouth weggehen und woanders Arbeit suchen, und Sarah müsste auf das bequeme Leben, das sie jetzt hat, mit Kindermädchen und Haushälterin verzichten … Ich kann mir nicht vorstellen, dass Matt woanders so viel Geld bekommt wie bei Vater. Vater übertreibt es, er bewirft ihn mit Geld, um ihn zu halten. Es ist Erpressung, sage ich, aber Matt ist zu wenig Kämpfer, braucht die Harmonie, hat keine Rechnung mit Vater offen. Niemand hat je versucht, Matts Willen zu brechen.
Gestern Nacht mussten wir Dana ins Krankenhaus bringen. Simon rief an und stammelte etwas davon, dass sie bewusstlos sei. Sarah fragte ihn spitz, warum er nicht den Krankenwagen gerufen hätte, und Simon wurde hysterisch. Ich nahm Sarah den Hörer aus der Hand und versprach, sofort rüberzukommen. Ich rief die Rettung und fuhr gleich mit Matt zu den beiden rüber. Dana lag im Badezimmer auf dem Boden und rührte sich nicht. Aber sie atmete, ihr Herz schlug, wenn auch sehr schnell und etwas unregelmäßig. Simon war so aufgelöst, dass er nicht richtig erzählen konnte, was geschehen war. Er heulte Matt voll. Ich brachte Dana in die stabile Seitenlage und versuchte, sie wieder wach zu bekommen, aber es war nichts zu machen. Der Notarzt kam ein paar Minuten nach uns und nahm sie mit. Wir fuhren dem Krankenwagen hinterher.
Nach ungefähr einer Stunde im Krankenhaus konnte man uns immerhin mitteilen, dass man sie wach bekommen hätte und sie offenbar eins ihrer vielen Medikamente über- oder unterdosiert hätte. Ich habe es mir nicht so genau gemerkt, wenn ich ehrlich bin. Ich verstehe nicht, dass keiner von den anderen etwas unternimmt. Sie ist seit fünfzehn Jahren eine wandelnde Apotheke und trinkt trotzdem zu viel, aber niemand redet ihr ins Gewissen. Alle sitzen nur daneben und heben die Augenbrauen und werfen sich Blicke zu. Was muss noch passieren?
Ich kann nichts sagen, sie hasst mich. Simon hat Angst vor ihr. Matt ist zu harmoniesüchtig, Sarah interessiert sich für nichts außer für sich selbst, und die Eltern … Warum wundere ich mich eigentlich? Wer sollte was sagen?
Ich muss hier dringend wieder weg. Aber heute ist es zu spät, wir sind erst am Vormittag aus der Klinik zurückgekommen, dann bin ich sofort eingeschlafen, und jetzt ist es schon wieder Abend.
Ich habe noch mal durchgelesen, was ich gestern geschrieben habe. Der letzte Satz … was habe ich für Sean aufgegeben? Ich wollte das Leben in London nicht mehr. Ich habe nichts für ihn aufgegeben.
Wie kam ich drauf?
Ich wollte wahrscheinlich schreiben: »Ich habe doch so viel für ihn getan.« Dann klingelte das Telefon, weil Dana umgefallen war, und ich kam ganz durcheinander.
Ich habe wirklich nichts für ihn aufgegeben. Im Gegenteil. Ohne ihn hätte ich diese wunderbare Werkstatt von dem alten Ogilvy gar nicht gefunden. Ich bin ganz allein für das verantwortlich, was ich mache. Genau das wollte ich doch immer.
Wie kam ich darauf, ich hätte etwas für ihn aufgegeben? Absurd.
Ich muss morgen endlich zurück nach Schottland.
Auszug aus Philippa Murrays Tagebuch
Sonntag, 28. 12. 2003
Wieder in Edinburgh. Ich habe Pete versprochen, Hogmanay mit ihm zu verbringen. Er feiert nie wirklich Weihnachten, er sagt, als alter Schotte ist das keine große Sache für ihn, dafür Hogmanay und Ne’erday. Ich muss erst lernen, was das alles genau bedeutet. Man hört immer davon, und die Schotten in New York hatten jedes Mal ganz feuchte Augen, wenn sie davon sprachen, die meisten sind dafür extra nach Europa geflogen, aber ich habe so etwas noch nie erlebt. Ich denke mir, es wird viel getrunken, gegessen und gesungen, und irgendwann wird ein Feuerwerk abgebrannt. Kann mir nicht vorstellen, dass ich in Feierlaune sein werde, Pete sicher auch nicht. Ich sagte es ihm.
»Es geht nicht ums Feiern wie bei einer Geburtstagsparty. Es geht darum, mit dem neuen Jahr Glück ins Haus zu bekommen. Der erste Besucher bringt das Glück mit. Und er bringt Geschenke mit. Brot oder Salz
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