Das zerbrochene Fenster: Thriller (German Edition)
hatte?
Nein, irgendetwas störte Cedric, irgendetwas passte nicht.
Er schreckte auf. Offenbar war er über diesen Gedanken eingenickt. Als er auf die Uhr sah, war es halb elf. Er wollte aufstehen, um ins Bett zu gehen, als er ein Geräusch hörte. Dasselbe, von dem er wach geworden war: zersplitterndes Glas.
Auszug aus Philippa Murrays Tagebuch
Sonntag, 13. 5. 2007
Sean lebt.
Ich hatte schon ganz vergessen, dass es diese Homepage gibt … In den letzten Monaten haben kaum noch Verrückte angerufen, und Mails habe ich auch keine mehr bekommen. Bis dann heute Mittag jemand schrieb:
Liebe Ms Murray,
Ich lebe in St Andrews, wo Sean aufgewachsen ist. Ich kenne ihn seit seiner Geburt. Ich bin ein entfernter Cousin seiner verstorbenen Mutter. Ich beobachte Ihre Internetseite schon sehr lange. Gestern habe ich Sean gesehen, in St Andrews. Ich habe seinen Vater angerufen. Er sagt, es kann nicht sein. Ich weiß aber, dass ich ihn gesehen habe. Ich kenne ihn, seit er ein Baby war, und ich habe das Bild hier auf dieser Seite im Computer gesehen, ich schaue es mir immer mal wieder an, wenn ich daran denke. Deshalb bin ich mir ganz sicher.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr John Baddeley
Darunter eine Telefonnummer. Ich rief ihn sofort an, er sprach genauso, wie er schrieb, einfach Sätze. Er sprach sehr laut, wie ein Schwerhöriger. Gleich geht mein Zug, ich muss mich beeilen.
Auszug aus Philippa Murrays Tagebuch
Montag, 14. 5. 2007
Dieser Mann, John Baddeley, hat ein vietnamesisches Restaurant in St Andrews. Er selbst ist schon in Rente, sein Sohn führt es. Sein Sohn heißt Ethan, er ist etwas älter als ich, Mitte dreißig vielleicht, und man sieht, dass seine Mutter Vietnamesin war. »Eine schöne Frau«, sagte John, »zum Glück kommt Ethan ganz nach ihr.« Ganz natürlich nicht, aber ich denke, er hat von beiden Seiten das Beste mitbekommen. Seine Frau ist eine umwerfend hübsche Amerikanerin mit japanischen Eltern. Sie wollte nur für ein Jahr nach St Andrews zum Studieren kommen, verliebte sich in Ethan und blieb. Sie alle gaben mir vom ersten Moment an das Gefühl, bei Freunden zu sein. Wenn ich dachte, John Baddeley sei ein tütteliger Alter, dann lag ich damit ganz falsch. Er ist ein einfacher Mann, was seinen schlichten Schreibstil erklärt, und er ist sehr intelligent. Sein Sohn hat in Oxford studiert und in Philosophie promoviert, fühlt sich zu Hause aber am wohlsten, wie er sagt. »Ich gehöre in die Küche. Lesen kann ich dann immer noch genug.« Und auch seine Frau, Terry, fühlt sich rundum wohl. Sie haben drei Kinder zusammen, und Terry unterrichtet Geschichte an der Uni. Wenn sie unterwegs ist, passt einer der Männer auf die Kinder auf. Ich weiß nicht, ob ich jemals eine so glückliche Familie gesehen habe. Mein Herz ist noch ganz voll von ihnen.
John sagte mir, er hätte Sean immer mal wieder in größeren Abständen in St Andrews gesehen.
»Zuletzt gestern. Er hat sich mit einer Frau getroffen. Groß, blond, jung. Hab ihn schon mal mit ihr gesehen. Da sahen sie nicht wie ein Liebespaar aus. Gestern … gestern schon.«
Er sah mich bedauernd an.
»Schon gut, Mr Baddeley. Ich bin drüber weg.«
»John, nicht Mr Baddeley. Keiner nennt mich so. Höchstens die vom Finanzamt. Warum suchen Sie ihn, wenn Sie drüber weg sind?«
Ich hob die Schultern. »Ich glaube, ich will einfach nur wissen, was damals los war. Ich habe alle Theorien durch, die es gibt. Und ich merke, ich kann damit nicht abschließen, wenn ich es nicht endlich weiß. Zwischendurch war ich sogar der festen Überzeugung, ihn umgebracht zu haben …« Ich unterbrach mich. So offen hatte ich nicht sein wollen.
John nickte, stand auf und verschwand in der Küche. Terry war nach Hause gefahren zu ihren Kindern, und Ethan stand hinter der Theke und diskutierte mit einem Angestellten. Ein Student, vermutete ich. Groß und muskulös und schwarz. Dem Akzent nach aus London, und da er jobbte, ging ich davon aus, dass er ein Stipendium hatte und sich etwas dazuverdienen musste. John kam zurück mit einer warmen Suppe und stellte sie vor mich.
»Heiß und scharf«, sagte er. »Macht einen klaren Kopf.«
Ich löffelte gehorsam und probierte vorsichtig. Sie schmeckte hervorragend.
»Meine Frau ist damals auch verschwunden«, sagte er.
»Das tut mir leid.«
»Es ist fünfzehn Jahre her, sechzehn. Ende September. Sie kam irgendwann nicht mehr nach Hause. Wir hatten uns gestritten. Es ging um einen anderen Mann. Ich wusste, dass sie jemanden
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