Das zerbrochene Siegel - Roman
insgeheim auf das Amt der Priorin, doch das wird die Ehrwürdige Mutter nicht zulassen.« Abrupt stand sie auf. »Nun habe ich aber genug geschwatzt, wofür ich Buße tun muss«, erklärte sie. Garsende dachte bei sich, dass Schwester Anselmas Züge nicht unbedingt nach Schuldbewusstsein aussahen. Laut sagte sie jedoch nur, es täte ihr leid, wenn sie der Anlass dafür war.
»Ach, Unsinn«, meinte die Nonne sorglos. »Die Ehrwürdige Mutter wird mir schon nicht den Kopf abreißen. Sie ist streng, aber klug und gerecht, und sie weiß um unsere Schwächen.«
Schon fast aus der Tür, drehte sich Garsende noch einmal zu ihr um. »Es war sehr großzügig von der Äbtissin, Beatrix eine eigene Zelle im Gästehaus zu überlassen«, sagte sie. »Ich hätte dergleichen nicht erwartet.«
»Bedankt Euch bei der jungen Edelfrau, die nebenan logiert. Wie es scheint, trat sie bei der Ehrwürdigen Mutter dafür ein, dass die Kranke mehr Ruhe bekomme, als es im Hospiz möglich ist.«
Nur hie und da bedeckte noch ein schmutzig grauer Flecken Schnee die Wege und Dächer im Kloster, doch obwohl es seit gestern nicht mehr geschneit hatte, war es noch immer sehr kalt. Fröstelnd stülpte sich Garsende die Kapuze ihres Umhangs über den Kopf, bevor sie die Küche verließ. Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, ließ eine Stimme sie herumfahren.
»Was machst du hier?«, wollte Schwester Walburga wissen.
Sie stand neben der Tür, als hätte sie auf Garsende gewartet. »Hatte ich dir nicht erklärt, dass man dir in die Zelle bringen würde, was du benötigst?«
Mit Mühe unterdrückte Garsende die scharfe Frage, ob die Infirmarin ihr wenigstens gestatten würde, ihren Raum zu verlassen, um den Abtritt aufzusuchen. Stattdessen antwortete sie mit einem nichtssagenden Schulterzucken.
Schwester Walburga nahm ihr Schweigen mit offenkundiger Befriedigung zur Kenntnis. Milder erkundigte sie sich nach dem Befinden der Kranken und fragte, ob sie noch einmal zu sich gekommen wäre. Garsende verneinte.
»Sie ist noch immer sehr schwach«, sagte sie. »Sobald sie meinen Trank bei sich behält, will ich ihr ein wenig Suppe geben, damit sie nach und nach wieder zu Kräften kommt.«
»Ich habe gehört, welchen Trank du zubereitet hast. Spitzwegerich zehrt, da möchten Sonnenblumen wohl wirksamer sein«, erklärte Schwester Walburga spitz.
»Sonnenblumen würde ich bei leichterem Husten geben, doch um die Rotgalle zu bekämpfen …«, wandte Garsende ein.
Die Infirmarin unterbrach sie. »Bedauerlicherweise kann ich nicht erkennen, dass die Kranke damit Fortschritte gemacht hätte.«
»Ist es nicht ein wenig vorschnell, so zu urteilen?«, gab Garsende zurück. »Ich fand Beatrix in sehr schlechter Verfassung vor, und das könnt Ihr mir nicht anlasten.«
Schwester Walburga hob die Brauen. »Willst du etwa uns die Schuld dafür zuweisen? Beatrix hat das Kloster aus eigenem Antrieb verlassen und sich selbst damit geschadet. Es steht mir nicht zu, die Entscheidungen der Ehrwürdigen Mutter in Frage zu stellen, aber warum sie glaubt, eine Drude zweifelhafter Herkunft könne diesen Schaden wiedergutmachen, ist mir unerklärlich. Ich werde empfehlen, die
Kranke wieder meiner Fürsorge zu unterstellen, wie es von Anfang an hätte sein sollen.«
Mit einem knappen »Gott befohlen« drehte sich Schwester Walburga um und betrat die Küche.
Stirnrunzelnd setzte Garsende ihren Weg fort. Gewiss konnte ihre Lebensweise bei den Nonnen nicht auf Zustimmung stoßen, doch das allein schien es nicht zu sein, das Schwester Walburga ein Dorn im Auge war.
›Warum, in aller Welt, ist sie nur so versessen darauf, dass Beatrix wieder ihrer Verantwortung übergeben wird?‹, überlegte sie. War es der Infirmarin darum zu tun, es als ihren Verdienst hinstellen zu können, würde Beatrix genesen? Oder lag ihr daran, dass man ihr bei der Pflege nicht allzu genau auf die Finger schaute? Wer würde schon die Infirmarin verdächtigen, falls Beatrix stürbe?
Herrje, nun ist’s genug. Bald siehst du hinter jedem Busch einen Meuchler!
Als sie um die Ecke bog, sah sie den Burggrafen vor dem Gästehaus stehen. Er war nicht allein. Angetan mit einem pelzverbrämten Umhang, die Hand vertraulich auf seine Brust gelegt, stand Serafina von Asti bei ihm und lächelte zu ihm auf. Der Burggraf schien ihr aufmerksam zu lauschen, und sein breites Gesicht zerfloss zu einem andächtigen Grinsen, das Garsende nachgerade lächerlich erschien.
Eine unbestimmte Gereiztheit
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